GEHEIMNISSE DER NACHT
aufstoben und ihr Schmuck schepperte, und floh aus der Tür hinaus, so schnell, dass von ihr nur noch ein verwischter Farbfleck zu sehen war.
Morgans leises, aber verzweifeltes Seufzen lenkte ihn von Sarafinas Leid ab – das er selbst deutlich spürte. Ob gerechtfertigt oder nicht, Sarafina litt. Jetzt allerdings hatte er keine Zeit, sich um den Schmerz seiner „Erschafferin“ zu sorgen. Nur um Morgan.
„Es ist … alles meine Schuld“, flüsterte sie.
„Warum hast du das getan, Morgan? Warum?“
Sie schüttelte den Kopf. „Du warst so schwach. Ich dachte, du stirbst.“
„Und ist dir nie in den Sinn gekommen, dass du viel leichter sterben kannst als ich?“ Er kniete sich neben sie, hob sie in seine Arme und stand wieder auf. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Nein, du hast darauf vertraut, dass ich es nicht zulasse, nicht wahr?“
„Es ist meine Schuld, nicht deine“, wiederholte sie und legte ihren Kopf an seine Brust.
„Ich lasse dich nicht sterben, Morgan.“
Sie schloss die Augen, doch er sah ihre Tränen, die hervorquollen und ihre Wimpern benetzten. Er trug sie in den Gang und hindurch, bis das Licht weit hinter ihnen lag.
„Die Tagebücher“, sagte sie plötzlich, „du musst sie mitnehmen, Dante. Und die anderen aus dem Haus holen.“
„Das können wir gemeinsam tun, wenn es dir wieder gut geht.“
„Sie sind im Safe, in meinem Arbeitszimmer. Das Jahr, in dem ich dich gefunden habe – es ist der Code. Neunzehn siebenundneunzig.“
„Ich lasse dich nicht sterben, Morgan.“ Er war schwach und wurde mit jeder Sekunde schwächer. Aber verdammt, er konnte sie retten, sie beide retten. Er würde sie retten.
„Es ist nicht deine Schuld, Dante“, flüsterte sie.
Endlich erreichten sie den Ausgang der Höhle, und es gelang ihm tatsächlich, Morgan festzuhalten, während er den Rand der Klippe hinaufkletterte. Normalerweise hätte er sich mit Leichtigkeit einfach abstoßen und springen können. Aber nicht heute Nacht. Heute Nacht gelang es ihm kaum, den steilen, steinigen Pfad zu erklimmen, ohne sie fallen zu lassen, und als er endlich ebenen Boden erreicht hatte, war er außer Atem, und seine Muskeln zitterten vor Anstrengung.
Er hielt auf das Haus zu.
„Dante?“, flüsterte sie. „Nein! Bring mich nicht zurück zu ihnen – ich will bei dir bleiben.“
„Ohne Hilfe musst du sterben, Morgan.“
„Dann sterbe ich in deinen Armen. Ich werde meinen letzten Atem gegen deine Lippen hauchen. Dante, bring mich nicht dorthin …“
Er blieb stehen und blickte auf diese Frau hinab, die ihr eigenes Leben riskiert hatte, um seines zu retten. Die ihm so vollkommen vertraut und sich ihm so selbstlos hingegeben hatte. Vor nicht allzu langer Zeit war schon der Gedanke für ihn unvorstellbar, jemand könnte ihn so lieben, wie diese zerbrechliche Kreatur es scheinbar tat. Seine eigene Familie hatte sich gegen ihn gewendet. Er hatte sein ganzes Leben lang niemandem vertraut. Aber ihr vertraute er. Und er merkte es, zu spät – verdammt sollte er sein, dass er schon gewusst hatte, er konnte ihr vertrauen, ehe sie ihm die Tagebücher und ihre Arbeit überlassen hatte. Ehe sie sich selbst bis an die Grenze ausgeblutet hatte, um sein wertloses Leben zu retten. Er liebte sie.
Liebevoll beugte er sich näher zu ihr, nahm ihren Kopf in seine Hand, um ihr Gesicht anzuheben, und küsste sie. Er küsste sie vorsichtig und zärtlich.
„Bleib für mich am Leben, Morgan. Nur eine Nacht, damit ich trinken und stark werden kann. Einen Tag, damit ich schlafen und meine Kraft zurückerlangen kann. Dann komme ich zu dir. Ich schwöre es. Keine Armee aus Sterblichen kann mich je wieder von dir trennen.“
Er küsste sie wieder, aber dieses Mal erschlafften ihre Lippen an seinen, ihr Kopf neigte sich zur Seite, und ihre Augen waren geschlossen. Er hörte Stimmen, sah, wie ihre Familie und ihre Freunde mit Taschenlampen über den Rasen rannten und Morgans Namen schrien.
Laut genug, damit sie ihn hören konnten, rief er nach ihnen. „Hier. Sie ist hier.“
„Dahinten ist er!“, ertönte eine Stimme. „Er hat Morgan!“
Die Sterblichen kamen auf ihn zugerannt. Er legte Morgan sanft in das kühle Gras, küsste sie auf die Stirn und drehte sich dann um, damit er fliehen konnte. Er musste überleben, musste stärker werden, nur so konnte er sie retten.
Nach drei Schritten drang der Pflock in seinen Schenkel. Unerträglicher Schmerz durchfuhr ihn, als er versuchte, trotzdem weiterzurennen. Gewicht
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