GEHEIMNISSE DER NACHT
auf das Bein zu legen, verstärkte die Qual nur noch mehr, und er spürte, wie das Blut aus seinem Körper pumpte. Noch drei Schritte. Er fiel hart auf die Knie, versuchte zu kriechen, und schaffte es schließlich, auf dem Bauch robbend, bis zu den Klippen. Bis an den Rand. Wenn er sich nur herüberretten konnte, gab es vielleicht noch eine Chance …
„Endlich. Du Hurensohn. Endlich habe ich dich.“ Eine Hand krallte sich in seine Schulter und rollte ihn unsanft auf den Rücken. Stiles starrte auf Dante hinab. Und dann lächelte er.
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott …“ Maxine kniete neben ihrer Schwester. Morgan lag regungslos auf der Erde, einen weißen Morgenmantel um ihren Körper gehüllt, frische Bissspuren an ihrem Hals. Jetzt war es keine Frage mehr. „Du siehst sie doch auch? Du kannst sie dieses Mal auch sehen oder nicht?“
Neben ihr, einen Arm um ihre Schultern gelegt, nickte Lydia. „Ich s-sehe sie. Ich kann es nicht glauben, aber ich – ich sehe sie.“
David sagte nichts; er war sprachlos, zu Tode geängstigt.
Lou hatte seine Finger um Morgans Handgelenk gelegt. Er sah auf und nickte einmal kurz. „Sie lebt.“
Maxine war dem Zusammenbruch nahe, ihr Gesicht verzog sich, und ein Schluchzen erstickte sie fast, so heftig war ihre Erleichterung. „Wir sollten sie ins Haus bringen.“
Lou blickte über den Rasen, runzelte die Stirn und stand auf. „Machen Sie das, David. Ich brauche nur eine Sekunde.“
Maxine folgte seinem Blick zu der Stelle, an der Frank Stiles sich über die gefallene Gestalt beugte, den Mann, der Morgan das angetan hatte. Lou schritt hinüber zu ihnen, und auch Max stand auf. „Bleib bei ihr“, sagte sie zu Lydia, noch als David Morgan in seine Arme nahm und auf das Haus zuging. Dann rannte sie los, um Lou einzuholen.
„Endlich habe ich dich“, triumphierte Stiles, „dieses Mal wirst du mir nicht entwischen.“
Als Maxine an Stiles’ heimtückischem Grinsen vorbei zu dem Mann auf dem Boden sah, stockte ihr der Atem. Er sah genauso aus wie die Bilder, die Morgan gezeichnet hatte – die Bilder, von denen die Wände ihres Arbeitszimmers bedeckt waren. „Dante, nehme ich an?“
Er nickte, hatte aber offensichtlich starke Schmerzen. Sie musterte ihn von oben bis unten, bemerkte dann das Blut, das um den metallenen Pflock in seinem Schenkel hervorquoll, und handelte instinktiv. Sie fiel auf die Knie und zerriss den Jeansstoff. „Er muss eine Arterie oder so getroffen haben. Mein Gott, wie das blutet …“
„Seine Art blutet immer so stark“, spuckte Stiles aus. „Lassen Sie ihn ausbluten. In ein paar Minuten ist er tot.“
„Wenn ich sterbe“, murmelte der Vampir durch zusammengebissene Zähne, „stirbt auch Morgan.“
„Wage es nicht, meine Schwester zu bedrohen“, fauchte Maxine ihn an.
„Ich glaube, das war keine Drohung, Maxine“, sagte Lou. Er fiel auf ein Knie, packte den Pflock und sah Dante an. Dante nickte einmal knapp, und Lou zog den Pflock, der eine Pfeilspitze hatte, in einer glatten Bewegung aus seinem Bein. Als er es tat, legte Dante seinen Kopf zurück und heulte vor Schmerz auf. Lou wusste, was er zu tun hatte: Er fädelte seinen Gürtel aus den Schlaufen, wickelte ihn um den Schenkel über der Wunde, zog ihn fest zusammen und beobachtete, wie die Blutung langsam abebbte. Er suchte in seinen Taschen, brachte ein Klappmesser zutage und stach ein Loch in das Leder, damit er den Gürtel festschnallen konnte. Er zog ihn so fest, dass Dantes Schenkel einer Sanduhr glich.
„Ich verstehe nicht, warum du ihm hilfst“, fragte Maxine endlich.“ Warum helfen wir ihm nach allem, was er Morgan angetan hat?“
„Nein, nein, Lou hat recht“, erwiderte Stiles leise, „er hat für meine Leute viel mehr Wert, wenn er am Leben ist.“
Dantes Blick schnellte zu Lou. Und es war für Maxine verdammt überraschend, einen Anflug von Angst in den Augen des Vampirs zu entdecken.
Mit seinen nächsten Worten lenkte Lou ihre Aufmerksamkeit allerdings von dieser Einsicht ab. „Er hat Morgan zu uns gebracht. Er hat uns gerufen, damit wir ihn bemerken, und sich für seine Mühen von Ihrer verdammten Armbrust erschießen lassen. Wo hatten Sie das Teil denn überhaupt versteckt, Stiles? Ich habe Sie doch durchsucht, ehe ich Sie ins Haus gelassen habe.“
„Die war in meinem Wagen. Ich habe sie sofort geholt, als klar war, dass Morgan vermisst wird.“
„Er hat sie zurückgebracht“, wiederholte Lou. „Das musste er nicht tun. Wenn er versucht hätte,
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