Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
entsprechende Mutmaßungen zu stützen scheinen. So gibt es diverse Augenzeugen aus dem Umfeld von Heß, die von einem Briefwechsel des »Führer«-Stellvertreters mit britischen Stellen in diesen Monaten berichten – wobei Heß geglaubt habe, an Hamilton zu schreiben, die Antwortbriefe jedoch mutmaßlich vom Secret Service stammten. Zu diesem Schluss kamen offenbar auch die deutschen Ermittlungsbehörden des SD und der Abwehr, des Nachrichtendienstes der Wehrmacht, bei ihren Untersuchungen des Falls – die Unterlagen sind jedoch seit Kriegsende verschollen.
So bleiben nur einige wenige Anhaltspunkte in alliierten Quellen, vor allem von Mitarbeitern des Geheimdienstes der tschechoslowakischen Exilregierung in London. Dessen Chef František Moravec berichtete im Oktober 1942, Heß habe lange vor seinem Flug mit Hamilton korrespondiert, wobei die Briefe von Heß vom britischen Geheimdienst abgefangen worden seien, der auch im Namen Hamiltons geantwortet habe. Auf diese Weise sei es gelungen, Heß nach England zu locken.
Es ist sicherlich nicht so, dass der britische Geheimdienst Heß nach England gelockt hat. Das führt zweifellos zu weit. Der britische Geheimdienst hat aber sehr wohl eine Kampagne geführt, vor allem über das Agentendrehkreuz Portugal, Informationen gezielt zu streuen, auch Informationen über eine mögliche Friedenspartei in Großbritannien.
Manfred Görtemaker, Historiker und Heß-Biograf
Auch die Aufzeichnungen eines anderen Vertreters der tschechoslowakischen Exilregierung, Eduard Taborsky, weisen in dieselbe Richtung. Es seien mehrere Briefe ausgetauscht worden, wobei Heß den Herzog schließlich gebeten habe, mit der »Agitation in den Appeasementkreisen« zu beginnen. Im richtigen Moment würde dann »eine hochrangige politische Persönlichkeit« nach Großbritannien kommen, um Frieden zu schließen. »Es sieht so aus«, fasste Taborsky die Meldungen zusammen, »dass die Briten die Nazis hereingelegt haben und dass sie Heß schließlich dazu gebracht haben, nach England zu kommen, in der Vermutung, dass der Boden für Friedensverhandlungen vorbereitet sei und dass er sich wirklich mit dem Herzog von Hamilton treffen könne.« Letztlich jedoch beweisen auch diese Dokumente nichts, denn die beiden Tschechen waren nicht direkt beteiligt und konnten nur auf Informationen aus zweiter Hand zurückgreifen – Informationen, die ebenso gut manipuliert gewesen sein konnten.
Von einer möglichen Intrige konnte Heß natürlich nichts ahnen, als er im Herbst 1940 die Vorbereitungen für seinen Flug aufnahm. Seiner Umgebung fiel auf, dass er plötzlich wie verwandelt wirkte. »Er ist wieder in Schuss«, notierte Goebbels nach einem Treffen erstaunt. »Heß macht auf mich den besten Eindruck.« Doch niemand durfte erfahren, worum es wirklich ging – auch Hitler nicht, dessen Wohlgefallen das Unternehmen wecken sollte. Es ist viel darüber gerätselt worden, ob der »Führer« nicht doch über den Flug des Stellvertreters informiert oder insgeheim sogar der Drahtzieher der Aktion gewesen sei. Zahlreiche Historiker haben sich dieser Frage angenommen, doch keiner konnte einen Beweis für die Mitwisserschaft des Diktators finden. Im Gegenteil: Die Umstände der Vorbereitung und die Reaktionen nach dem Flug zeigen deutlich, dass Hitler, wäre er eingeweiht gewesen, dieses abenteuerliche Unternehmen niemals gebilligt hätte.
Der Flug und sein angestrebtes Ziel hatten mich wie eine fixe Idee gepackt. Anderes sah und hörte ich nur noch halb, wie durch einen Nebel.
Rudolf Heß, Brief an seine Frau, Februar 1950
Als Heß Ernst Udet, den zum »Generalluftzeugmeister« aufgestiegenen ehemaligen Fliegerkameraden, um eine Messerschmitt-Maschine bat, um »Probeflüge« im Raum Berlin durchführen zu können, bestand dieser auf einer Genehmigung Hitlers. Sofort wiegelte der Stellvertreter ab und verzichtete. »Da hätte ich mich ebenso gut sofort in Haft begeben können«, meinte er zwei Jahre darauf. »Ich hätte meine Aktivitäten nicht geheim halten können und der Führer hätte früher oder später davon erfahren. Mein Plan wäre zunichtegemacht worden, und ich hätte mir Vorwürfe gemacht, wegen dieser Unvorsichtigkeit.«
[Der Führer] sagte, er habe nur zwei Forderungen an die Briten: 1. Die Festlegung der beiderseitigen Interessensphären, um weitere Konflikte zwischen Deutschland und England zu vermeiden; und 2. die Rückgabe der Kolonien an Deutschland.
Je schneller wir zu einer solchen Lösung
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