Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
von einem Traum: Er habe Heß durch die mit Wandteppichen behängten Hallen von englischen Schlössern wandeln sehen, wo er zwei großen Nationen den Frieden brachte. Tatsächlich wollte Haushofer seinen Freund nur aushorchen, da er gerüchteweise von den Flugplänen des »Führer«-Stellvertreters erfahren hatte. Doch für Heß stand spätestens jetzt unweigerlich fest, dass ihn das Schicksal tatsächlich zum Werkzeug einer welthistorischen Mission ausersehen hatte.
Am Morgen des 10. Mai spielte er in seiner Villa in Harlaching ausgiebig mit seinem dreieinhalbjährigen Sohn, so lange, dass sich seine Frau zu wundern begann. Sie selbst fühlte sich an diesem Morgen unwohl und war im Bett geblieben. Gegen Mittag erschien ihr Mann in seiner Fliegeruniform und verabschiedete sich von ihr. »Wann kommst du zurück?« Auf die Antwort »Vielleicht schon morgen« sagte Ilse Heß in dunkler Vorahnung: »Das glaube ich nicht. Komm bald zurück, der Junge wird dich vermissen.« – »Ich werde ihn auch vermissen.«
»Vati am 10. Mai 1941, 22:45«: Für seinen Sohn zeichnete Heß
in britischer Haft eine Skizze seines Absprungs in Schottland.
BPK, Berlin (Bayerische Staatsbibliothek/Heinrich Hoffmann)
Gemeinsam mit seinem Adjutanten Pintsch fuhr Heß nach Augsburg. Um 17.45 Uhr startete er mit seiner Messerschmitt, flog nach Nordwesten, folgte dann der Rheinlinie auf die offene See, bevor er auf einen aus dem dänischen Kalundborg kommenden Leitstrahl einschwenkte, der ihn nach Schottland führte. Kurz nach zehn Uhr abends passierte er in nur zehn Meter Flughöhe die Küstenlinie – auf diese Weise wollte er den zahlreichen Radarstationen an der britischen Ostküste entgehen. Eine halbe Stunde später hatte er sein Zielgebiet südlich von Glasgow erreicht, doch den Landeplatz in Dungavel, dem Landsitz Hamiltons, suchte er vergeblich. Eine Zeit lang kreuzte er noch unentschlossen hin und her, ehe er gegen elf Uhr die Maschine wieder nach oben drückte und mit seinem Fallschirm in die Nacht sprang. Es war der Moment, in dem alles endete: Es war das Ende einer fixen Idee, das Ende einer Karriere und das Ende eines Lebens in Freiheit.
Zerschellt auf einem schottischen Acker: Angehörige der britischen Home Guard sichern das Flugzeugwrack der Heß’schen Me 110.
Corbis Images, London (Bettmann/ Corbis)
»So ein Narr«
In die angespannte internationale Lage platzte die Nachricht vom geflügelten Parsifal Rudolf Heß wie eine Bombe. Im Konferenzraum des britischen Informationsministeriums, wo die Neuigkeit am Abend des 12. Mai der Weltöffentlichkeit publik gemacht wurde, herrschte bei den Pressevertretern ungläubiges Staunen.
Wenige Stunden zuvor hatte auch die deutsche Reichsregierung offiziell auf das Verschwinden von Heß reagiert. Obwohl es ihm wegen »einer seit Jahren fortschreitenden Krankheit« vom »Führer« verboten worden sei, sich fliegerisch zu betätigen, so hieß es in einem durch den Reichsrundfunk verbreiteten Kommuniqué, habe sich Heß in den Besitz eines Flugzeugs gebracht und sei zu einem Flug aufgebrochen, von dem er bislang nicht zurückgekehrt sei. Ein zurückgelassener Brief zeige »in seiner Verworrenheit leider die Spuren einer geistigen Zerrüttung, die befürchten lässt, dass Parteigenosse Heß das Opfer von Wahnvorstellungen wurde«.
Die Tatsache, dass diese Erklärung erst zwei Tage nach dem Flug erfolgte, wurde immer wieder als Beleg dafür gewertet, dass Hitler tatsächlich Mitwisser der Aktion war. Er habe sich erst dann von seinem Stellvertreter distanziert, als deutlich wurde, dass die Friedensinitiative von Heß gescheitert war. Wusste Hitler also womöglich doch Bescheid? Die neu entdeckte Aussage von Heß-Adjutant Pintsch aus Moskau hat diese Frage wieder neu aufgeworfen. Doch wie viel Beweiskraft kann das Dokument für sich beanspruchen? Immerhin wiegt die Aussage von Pintsch schwer – er war es, der Hitler am Vormittag des 11. Mai auf dem Obersalzberg von der Flucht seines Stellvertreters informierte und ihm dessen Rechtfertigungsschreiben übergab. Doch blieb Hitler in diesem Moment wirklich ganz ruhig und entließ Pintsch dann ohne ein weiteres Wort?
»Gewisse Interpretationen vorgegeben«: Karlheinz Pintsch saß mehr als zehn Jahre in sowjetischer Haft (im Bild das Deckblatt seiner Akte beim Geheimdienst NKWD).
Unbekannt
Die These von der Komplizenschaft Hitlers hat einen weiteren prominenten Zeugen: Hitlers Kammerdiener Heinz Linge. Dieser berichtete, dass der
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