Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)

Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)

Titel: Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
Vom Netzwerk:
Langschläfer Hitler, der normalerweise nicht vor elf Uhr vormittags geweckt werden wollte, an diesem Tag bereits vollständig bekleidet auf dem Bett saß, als er gegen 9.30 Uhr an die Tür des »Führer«-Schlafzimmers geklopft habe – laut Linge ebenfalls ein Indiz dafür, dass Hitler keineswegs von Heß’ Abgang überrascht worden sei.
    Während meiner 6-jährigen Tätigkeit als enger Vertrauter von Heß sind mir Tatsachen bekannt geworden, die die Vorbereitung des Angriffskrieges Hitler-Deutschlands gegen die Sowjetunion und die »Flucht« Heß’ nach England, die, wie ich mit Bestimmtheit weiß, nach vorheriger Übereinkunft mit den Engländern erfolgt ist, ins rechte Licht setzen.

    Aus der Pintsch-Niederschrift, Moskau, 23. Februar 1948
    Beide Aussagen haben jedoch eine Gemeinsamkeit – sie entstanden nach langen und qualvollen Verhören in sowjetischer Gefangenschaft. Das macht ihren Quellenwert zumindest fragwürdig. Denn der Stalin’schen Justiz ging es weniger um die Wahrheitsfindung als um die Erpressung von »passenden« Geständnissen. Aus Gründen des Selbstschutzes dürften sowohl Pintsch als auch Linge den Sowjets deshalb genau das erzählt haben, was diese hören wollten: Nach Lesart des Kreml war die Heß-Mission ein abgekartetes Spiel zwischen London und Berlin zum Nachteil der Sowjetunion – eine Deutungslinie, die von der (sowjet)russischen Geschichtswissenschaft bis zum Ende der kommunistischen Ära und darüber hinaus eisern verfochten wurde.
    Wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Dokument direkt an Stalin ging, der mit einer Anglophobie behaftet war. Während des gesamten Zweiten Weltkriegs befürchtete er ein deutsch-englisches Zusammengehen gegen die Sowjetunion. Bei den dezidierten Bemerkungen Pintschs, dass alles mit den Engländern abgesprochen war, muss man natürlich vermuten, dass von den Verhöroffizieren gewisse Interpretationen bereits vorgegeben wurden.
    Matthias Uhl, Historiker und Finder des Pintsch-Dokuments
    Auch bei Pintsch fällt die Propagandafixierung seiner Aussagen deutlich ins Auge. Betonte er doch in dem 1948 entstandenen Dokument, gerade jetzt an die Öffentlichkeit gehen zu wollen, da »die reaktionären Kreise Englands und Amerikas bestrebt sind, einen Krieg zu entfesseln«. Er schloss mit den Worten: »Die von mir berichteten Tatsachen bestätigen, dass England, indem es die hitlersche Aggression gegen Sowjetrussland begünstigte, nach seinem alten Prinzip handelte, die Kastanien mit fremden Händen aus dem Feuer holen zu lassen« – eine fast wörtliche Wiedergabe eines geläufigen Stalin-Zitats. Bezeichnenderweise rückte Pintsch nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft dann auch wieder von der Mitwisser-These ab.
    In Wahrheit traf der Flug seines Stellvertreters den »Führer« wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Fassungslosigkeit, ja Bestürzung Hitlers beim Erhalt der Nachricht, die mehrere Augenzeugen glaubhaft schildern, war echt. Hitler habe das Heß-Schreiben kurz überflogen und sei dann auf einen Stuhl gesunken: »Um Gottes willen! Der ist da rübergeflogen!«, berichtete General Karl Bodenschatz, der an diesem Tag auf dem Berghof weilte. Dann habe Hitler telefonisch nach seinem anderen Stellvertreter verlangt: »Göring, kommen Sie sofort hierher. Es ist etwas Furchtbares geschehen.«
    Zwei Tage später waren sämtliche Reichs- und Gauleiter auf dem Berghof versammelt, wo den höchsten NS -Funktionären der Abschiedsbrief von Heß verlesen wurde. Auch dieses Schreiben ist nicht mehr im Original erhalten, kann jedoch aus Erinnerungsberichten der Anwesenden recht genau rekonstruiert werden. In dem von okkulten Anspielungen gespickten Schreiben schilderte der Stellvertreter zunächst ausführlich die Vorbereitungen seines Flugs und kam dann auf seine Motive zu sprechen. Er sei nicht geflohen oder habe nicht aus Feigheit oder Schwäche gehandelt, sondern um einen »ernsthaften Versuch« zu unternehmen, den Krieg der »germanischen Brudervölker« Deutschland und England, aus dem nur der »Weltbolschewismus« als Sieger hervorgehen könne, auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Er habe darüber im Vorfeld kein Wort verlauten lassen, hieß es weiter, weil er gewusst habe, dass ihm der »Führer« sein Vorhaben untersagen werde. Er werde in England betonen, dass seine Aktion kein Zeichen deutscher Schwäche sei, sondern der Stärke eines Landes, »das es nicht nötig habe, um Frieden zu bitten«.
    »Ein wildes Durcheinander, primanerhafter

Weitere Kostenlose Bücher