Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
musste ihm da vorkommen, dass sich ausgerechnet jetzt eine alte Bekannte der Haushofers aus England brieflich bei der Familie meldete und um Rückantwort an eine Postfachadresse in Lissabon bat. Die portugiesische Hauptstadt galt damals als Agentenmetropole und Drehkreuz der internationalen Geheimdienste – und es lag nahe, anzunehmen, dass auch diese Dame auf dem Feld der diskreten Diplomatie zwischen den Fronten des Kriegs aktiv war. Freilich handelte es sich bei Mrs. Violet Roberts um eine damals immerhin schon 76 Jahre alte Lady, von der niemals geklärt werden konnte, ob sie sich überhaupt jemals in Lissabon aufgehalten hat, warum sie just in diesen Wochen an die Haushofers herantrat und was ihr Wunsch nach Kontaktaufnahme letztlich bezwecken sollte.
Ich wurde sofort nach Möglichkeiten einer Übermittlung des ernsten Friedenswunsches Hitlers an führende Persönlichkeiten Englands gefragt. Man sei sich klar darüber, dass die Weiterführung des Krieges selbstmörderisch für die weiße Rasse sei. […] Ob es denn in England niemand gebe, der zum Frieden bereit sei?
Denkschrift Albrecht Haushofers über eine Unterredung mit Heß, 15. September 1940
Heß jedenfalls frohlockte: Mit Mrs. Roberts schien ein »Kanal« gefunden, über den er seine Friedensfühler nach Großbritannien ausstrecken konnte. Anfang September zitierte er Albrecht Haushofer zu sich und besprach mit ihm das weitere Vorgehen. Zwar versuchte der Diplomat dem Stellvertreter klarzumachen, dass die gesamte politische Klasse Großbritanniens einen von Hitler unterschriebenen Vertrag lediglich als »einen wertlosen Fetzen Papier« ansehen und das ganze Empire lieber den Amerikanern verkaufen würde, als Europa der Herrschaft des deutschen Diktators auszuliefern, doch Heß wollte von solchen Einwänden nichts hören. Er bestand auf seiner Meinung, dass bislang nur noch nicht der richtige Ton im Austausch zwischen Berlin und London getroffen worden sei, und bat Haushofer um Benennung möglicher Kontaktleute. Zähneknirschend listete dieser einige Personen auf, von denen schließlich einer übrig blieb: Douglas Douglas-Hamilton, jener schottische Herzog, mit dem Albrecht Haushofer in den 1930er-Jahren so eng verbunden war. »Ich halte es für das Beste, Du oder Albrecht schreiben der alten Eurem Haus befreundeten Dame, sie möchte doch versuchen, Albrechts Freund zu fragen, ob er allenfalls bereit wäre, nach dem neutralen Gebiet, in dem sie wohnt oder doch eine Vermittlungsadresse hat, zu kommen, um einmal mit Albrecht zu sprechen«, schrieb Heß an Karl Haushofer. Wenige Tage später, Ende September 1940, verfasste Albrecht jenes Schreiben, das dem Leben von Rudolf Heß eine schicksalhafte Wendung geben sollte.
Mein lieber Douglo,
selbst wenn es nur eine geringe Chance ist, dass Sie dieser Brief bald erreicht, so gibt es sie immerhin, und ich bin entschlossen, sie zu nutzen. […]
Wenn Sie sich an einige meiner Mitteilungen vom Juli 1939 erinnern, werden Sie und Ihre hochgestellten Freunde die Bedeutung der Tatsache erkennen, dass ich Sie fragen kann, ob Sie die Zeit haben, irgendwo in einem der Randstaaten Europas, vielleicht in Portugal. ein Gespräch zu führen. Ich könnte jederzeit und ohne Schwierigkeiten, einige Tage nachdem ich von Ihnen Nachricht habe, nach Lissabon kommen. Natürlich weiß ich nicht, ob Sie Ihren Vorgesetzten gegenüber so viel durchblicken lassen können, dass Sie Urlaub erhalten.
Aber zumindest sind Sie vielleicht in der Lage, meine Frage zu beantworten. Briefe können mich (verhältnismäßig schnell, höchstens 4–5 Tage von Lissabon) auf folgendem Wege erreichen: doppelter Umschlag.
Innenadresse: Dr. A. H. Nichts weiter!
Außenadresse: Minero Silricola Ltd.
Rua du Cais de Santarem 32/1
Lisboa, Portugal.
Meine Eltern schließen sich meinen Wünschen für Ihr persönliches Wohlergehen an.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr A.
Brief Albrecht Haushofers an Douglas Douglas-Hamilton, 23. September 1940
Noch war von keinem Flug nach England die Rede. Noch ging es allein um eine Fühlungnahme zwischen Haushofer und Hamilton, um ein unverbindliches Treffen, möglicherweise in Lissabon. Warum dieses jedoch nicht zustandekam und ein halbes Jahr später stattdessen der Stellvertreter der »Führers« über Schottland absprang, ist eines der wahrhaft ungelösten Rätsel des Zweiten Weltkriegs. Sicher ist nur eines: Der Brief an Hamilton sollte zwar seinen Adressaten erreichen – doch erst im März 1941, als ein Offizier
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