Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
Öffentlichkeit zeichnete Hitler allerdings ein anderes Bild. Als ihn der Richter beim Putschprozess nach der Schwere seiner Verletzung fragte, antwortete Hitler: »Ich war eine Zeitlang fast blind. Später hat sich mein Zustand dann gebessert, aber mit Rücksicht auf meinen Beruf als Architekt galt ich doch als vollkommener Krüppel und ich habe nie geglaubt, dass ich noch einmal eine Zeitung werde lesen können.«
Hitler zieht aus dem industrialisierten Massentöten des Ersten Weltkrieges den Schluss, dass nur das Land einen Krieg gewinnen kann, das so rücksichtslos wie möglich vorgeht.
Thomas Weber, Historiker
Im Lazarett Pasewalk wurde Hitler wegen seiner Gasvergiftung behandelt. Als er vom Kriegsende erfahren habe, sei er erneut erblindet, so sein selbst geschaffener Mythos.
Bundesarchiv, Koblenz (Bild119-2651-01)
Hitler erfuhr vom Ende des Krieges durch den Kaplan des Lazaretts in Pasewalk, der den versammelten Patienten schonend beizubringen versuchte, dass Deutschland verloren hatte. Doch auf Hitler wirkte die Nachricht wie ein Schock und ließ ihn, wie er später behauptete, erneut blind werden: »Während es mir um die Augen wieder schwarz ward, tastete und taumelte ich zum Schlafsaal zurück, warf mich auf mein Lager und grub den brennenden Kopf in Decken und Kissen.« Drei »entsetzliche Tage und noch bösere Nächte« dauerte die Krise, die in Hitler angeblich den wichtigsten Entschluss seines Lebens reifen ließ: »Ich aber beschloss nun, Politiker zu werden.« Mit diesem Satz in Mein Kampf schuf Hitler den Kern eines pseudoreligiösen Mythos vom Führer, dem der Schmerz über das Unglück des Vaterlands das Augenlicht genommen hatte und der dazu ausersehen war, das deutsche Volk zu befreien und Deutschlands Größe wiederherzustellen. Später ließ er seine Erlebnisse in Pasewalk durch die Propaganda nachträglich zu einer Art Erweckungserlebnis verklären, um von einem der dunkelsten Punkte seiner Lebensgeschichte abzulenken. Denn in Wirklichkeit war Hitler damals außerstande, einen solchen Entschluss zu fassen oder irgendeine andere Entscheidung zu treffen.
Nach Hitlers eigener Darstellung gingen seine Welt und alles, wofür er bisher gelebt hatte, in dem Moment unter, als er im Lazarett lag und von der Revolution und Abdankung des Kaisers erfuhr. In diesem Moment will er angeblich realisiert haben, dass die Juden der verhasste Feind hinter all dem waren, und hat sich dazu entschlossen, in die Politik zu gehen. Doch so kann es nicht gewesen sein. Was der Fall gewesen sein könnte, ist, dass Hitler durch seine Verwundung traumatisiert worden war und in diesem Zustand diese Nachrichten hörte und dass dann die Verbitterung über all das, was passiert war, verstärkt wurde.«
Ian Kershaw über Hitlers Entschluss, Politiker zu werden
Mythos Gasblindheit
Wohl kaum eine andere Episode in Hitlers Leben hat unter Wissenschaftlern so viele Spekulationen ausgelöst wie dieser dreitägige »Rückfall in die Blindheit«. Dabei wurde immer wieder vermutet, dass Hitler nicht nur wegen seiner Gasvergiftung in Pasewalk behandelt wurde, sondern auch deshalb, weil er als Folge des durchlittenen Angriffs und seiner Verwundung zu einem sogenannten Kriegshysteriker geworden war. Bislang konnten aber keine schlüssigen Beweise für diese Theorie vorgelegt werden. Die Krankenakte Hitlers aus Pasewalk wurde nie veröffentlicht und ist bis heute verschollen.
Bei seinen Recherchen ist Thomas Weber auf bislang unbekannte Dokumente gestoßen und kommt zu dem Schluss: »Tatsächlich war er einer so geringen Menge Senfgas ausgesetzt gewesen, dass nicht einmal ein längerer Aufenthalt in einem Militärkrankenhaus erforderlich gewesen wäre. Hitlers Blindheit war nicht körperlich, sondern psychosomatisch.« Als Beleg führt Weber einen Brief des amerikanischen Neurologen Robert Foster Kennedy aus dem Jahr 1943 an. Darin gibt der Arzt die persönlichen Mitteilungen seines deutschen Kollegen Otfried Foerster wieder. Professor Dr. Foerster, einer der angesehensten Nervenärzte im damaligen Deutschland, hatte die militärische Krankenakte Hitlers persönlich studiert. In dem Brief heißt es: »Foerster erzählte mir, dass er 1932 im Deutschen Kriegsarchiv nach den Krankenunterlagen eines aufstrebenden Politikers namens Adolph Hitler gesucht hatte. Er entdeckte, dass der Gefreite Adolph Hitler während des Weltkriegs einen Krankenhausaufenthalt hatte. Das Datum hat er nicht genannt. Die Diagnose lautete Hysterische
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