Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
durch einen Granatsplitter am Oberschenkel verwundet worden war. In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober geriet Hitler mit mehreren anderen Meldegängern auf einem Hügel hinter der Front in britisches Artilleriefeuer. Dabei setzten die Briten auch das Giftgas Lost ein. Der Angriff war ausgesprochen heftig und wurde auch in der 1932 verfassten Regimentsgeschichte erwähnt: »Der Engländer belästigte die Stellung mit Artilleriefeuer und besonders mit Gas, wodurch Verluste zu beklagen sind – darunter ein großer Teil des Regimentsstabes.« Hitler sowie zwei weitere Meldegänger und mehrere Fernmeldetechniker kamen bei dem Angriff mit dem Gas in Berührung. Bei seinem Prozess nach dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 1923 gab Hitler dem Richter eine dramatische Schilderung, was sich damals angeblich abgespielt hatte: »Drei Kameraden von mir sind sofort gestorben, andere sind erblindet für immer.« Eine höchst unwahrscheinliche Geschichte, die Hitler damals auftischte. Die Briten hatten bei ihrem Angriff zwar tatsächlich Giftgas verwendet und mehrere deutsche Soldaten damit verletzt. In Wirklichkeit waren die Auswirkungen aber wesentlich weniger gravierend, als sie Hitler beschrieben hatte.
Hitler hat selbst mehrfach geäußert, dass sein Leben in den Schützengräben die glücklichste und großartigste Zeit seines Lebens gewesen ist. Zwar hatte er tatsächlich nie in den Gräben gelebt, aber immerhin war er im Ersten Weltkrieg.
Ian Kershaw, Historiker und Hitler-Biograf
Lost, das wegen seines typischen Geruchs auch Senfgas genannt wurde, war als taktisches Kampfmittel entwickelt worden. Sein Zweck besteht darin, den Gegner nicht sofort zu töten, sondern möglichst lange kampfunfähig und behandlungsbedürftig zu machen. Zudem hat der Anblick der leidenden Kameraden einen negativen Einfluss auf den Kampfeswillen und die Moral der Truppe. Zwar ist Senfgas hochgiftig und kann zum Tod führen, wenn es zum Beispiel über die Lungen in den Körper aufgenommen wird. In der Regel wirkt es jedoch nicht tödlich. So starben während des Ersten Weltkriegs nur rund fünf Prozent der Soldaten, die dem Gas ausgesetzt waren und danach medizinische Hilfe erhielten. Trotzdem gehörte das Gas wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursachte, zu den am meisten gefürchteten Waffen. Großflächig betroffene Gliedmaßen mussten meist amputiert werden. Am empfindlichsten reagieren die Augen auf das Gas. Hitler schilderte in Mein Kampf die Wirkung so: »Gegen Morgen erfasste auch mich der Schmerz von Viertelstunde zu Viertelstunde ärger, und um sieben Uhr früh stolperte und schwankte ich mit brennenden Augen zurück […]. Schon einige Stunden später waren die Augen in glühende Kohlen verwandelt, es war finster um mich geworden.«
Tatsächlich verursacht Senfgas aber keine wirkliche Blindheit, indem es das Auge selbst schädigt. Vielmehr kommt es zu einer schweren Bindehautentzündung und Schwellung der Augenlider, durch die der Sehsinn zeitweise stark beeinträchtigt ist. Der Patient wird gewissermaßen »sekundär blind«, wenn er sich die Augen reibt. Der Medizinjournalist Otmar Katz schreibt dazu: »Der gasverletzte Hitler erlebt diesen vorübergehenden Verlust seiner Sehfähigkeit nicht anders als ungezählte Leidensgenossen. Die Angst, das Augenlicht zu verlieren, gehört zu den schlimmsten Ängsten, mit denen die Vorstellung des Soldaten sich beschäftigt. Wenn unter dem Einfluss des Senfgases diesen Männern die Lider zuschwollen, fürchteten sie alle – dieses Phänomen bestätigen viele Betroffene und aufmerksam beobachtende Ärzte –, nie wieder sehen zu können.«
»Es war finster um mich«: Wie diese britischen Soldaten im Frühjahr 1918 musste auch Hitler mit Erblindungserscheinungen nach einem Giftgasangriff leben.
AKG Images, Berlin (IAM/akg/NA)
Hitler befand sich demnach in einer extremen psychischen Verfassung, als er zur weiteren Behandlung nach Pommern in das Städtchen Pasewalk, rund 100 Kilometer nordöstlich von Berlin, verlegt wurde. Allerdings war Hitler nur einer relativ geringen Dosis des Kampfgases ausgesetzt gewesen, wie er selbst wenige Jahre später in einem Brief an einen frühen Förderer seiner Partei schrieb: »Ich wurde von Werwick in Flandern abtransportiert und dem Vereinslazarett Pasewalk bei Stettin überwiesen […] meine Erblindung […] [wich] in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder […] und das Augenlicht […] [kehrte] allmählich wieder zurück.« In der
Weitere Kostenlose Bücher