Geheimnisvoll und unwiderstehlich
mehr als gut.
Die letzten fünf Tage waren sehr aufregend gewesen. Hal und sie waren von morgens bis abends beschäftigt.
Der Katalog war rechtzeitig fertig geworden. Poppy, die heute Morgen erschienen war, um sich davon zu überzeugen, dass alles gut lief, war von der Kollektion restlos begeistert.
Nur eins hatte Mimi gestört – Hal hatte sie bei der Arbeit andauernd fotografiert. Anscheinend brauchte er Bilder von ihr für das Werbematerial, mit dem sie für das Event werben wollten.
„So, was haben wir hier denn? Sieht ja aus wie Miss Mimi Fiorini Ryan. Aber was trägt sie denn nur?“ Er lachte laut. „Ich glaube, mit diesem Foto könnte ich dich jederzeit erpressen.“
Mimi wachte aus ihrem Tagtraum auf und betrachtete das Foto, das Hal in der Hand hielt. „Oh nein! Das war bei meiner Abschlussprüfung. Bitte, pack es weg in den Schrank. Ich möchte es nie wieder sehen.“
„Aber warum denn?“ Noch immer studierte Hal amüsiert das Foto. „Zuerst musst du mir die Mülleimer und die schwarzen Plastiktüten erklären. Und warum tragen die Models eigentlich diese komischen Stiefeletten mit den Stahlkappen?“
„Weil der berühmte Fotograf die Nase voll von gefälligen Bildern hatte. Daher hat er – übrigens ohne mich zu fragen – mein Thema ‚Working Girl‘ in ‚Reiches Mädchen aus der Großstadt, das Designerkleidung trägt, während sie Müll einsammelt‘ umgewandelt.“
Sie schloss kurz die Augen, es schauderte sie noch immer, wenn sie daran dachte. „Ach Hal, ich war ja so naiv! Ich habe wirklich geglaubt, dass ich diesem Mann vertrauen könnte. Schließlich arbeitete er seit über dreißig Jahren erfolgreich in diesem Beruf und konnte auf eine steile Karriere zurückblicken. Aber noch viel schlimmer war, dass meine stolze Mutter den ganzen Fiorini-Clan zu der Präsentation eingeladen hatte. Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich so gedemütigt worden! Meine Cousins haben sich nur über mich lustig gemacht. Besonders aufgezogen haben sie mich mit den alten Bananenschalen und den Streifen von Toilettenpapier, die die Stylistin den Models an die Samtröcke geheftet hatte.“
Hal stieß einen kleinen Pfiff aus, er hatte den Text unter dem Bild entdeckt. „Kann ja alles sein, aber hier steht auch, dass du zur besten Studentin des Jahres gewählt worden bist. Und dazu noch einen Preis für deine Schneiderkünste bekommen hast. Du bist viel zu bescheiden, Mimi. Jeder andere würde sich mit diesen Auszeichnungen schmücken.“ Er erhob sich und verbeugte sich ironisch. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich mit einem solchen Star arbeiten würde. Herzlichen Glückwunsch!“
Mimi zog ein Gesicht. „Also, ich bin mir nicht sicher, was den Star angeht. Aber ich arbeite daran.“
Er antwortete nicht, sondern sah sie nur nachdenklich an.
„Was ist?“, fragte sie nervös.
„Es gibt etwas, das ich nicht verstehe“, sagte er langsam. „Offensichtlich warst du eine der begabtesten Studentinnen an dieser Schule. Einer Modeschule mit einem guten Ruf, der sogar mir bekannt ist. Dein Talent scheint außer Frage zu stehen. Aber warum bist du dann nach deinem Abschluss nicht zu einem der großen Modehäuser gegangen? Bestimmt hattest du doch mehrere Angebote. Was hat dich so lange aufgehalten?“
Was hatte sie so lange aufgehalten?
Die Frage stand groß im Raum – in ihrem Atelier, in dem sie fast jeden Moment der letzten zehn Jahre verbracht hatte.
Zehn Jahre, in denen sie nie gewusst hatte, ob die Mutter, der sie Gute Nacht gesagt hatte, am nächsten Morgen noch immer die wunderbare, witzige Person war, als die sie sie kannte.
Zehn Jahre mühsam gestohlener Zeit, in denen sie arbeiten, denken und planen konnte – vielleicht zwei Stunden am frühen Morgen oder spät in der Nacht. Aber auch das war nur möglich gewesen in Nächten, in denen ihre Mutter ruhig durchgeschlafen hatte.
Zehn Jahre, in denen sie nur der Traum der eigenen Kollektion hatte durchhalten lassen – von Zeichnung zu Zeichnung, von einem Entwurf zum nächsten. Unzählige Stunden angestrengten Studiums lagen hinter ihr – Stunden, in denen sie ihre Schneiderkünste perfektioniert und die Fähigkeiten, die sie auf der Modeschule erworben hatte, ausgebaut hatte.
Bevor Hal in ihrem Leben auftauchte, hatte Mimi gar nicht gewusst, wie sehr ihr die Zusammenarbeit mit einem anderen Profigefehlt hatte. Natürlich genoss sie den Austausch mit ihren Studentinnen. Aber sie war schließlich die Kursleiterin, das war etwas
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