Geheimnisvoll und unwiderstehlich
ganz anderes.
Plötzlich merkte sie, dass Hal sie noch immer anstarrte – als ob er versuchen würde, ihre Gedanken zu lesen. Mimi zwang sich, seinen Blick zu erwidern. Konnte sie ihm wirklich vertrauen?
In ihrem Leben hatte es immer so viele Lügen und Halbwahrheiten gegeben, dass sie inzwischen genug davon hatte. Die Entscheidung lag ganz allein bei ihr – wenn sie ihm ihr Herz öffnete, würde er sie verstehen oder verurteilen? Konnte sie ihm die Wahrheit sagen, und würde auch er ihr gegenüber ehrlich sein?
Ein Blick in seine Augen genügte Mimi, um sich davon zu überzeugen, dass sie voller Verständnis waren – voller Wärme, Neugier und der Bereitschaft, mehr über sie erfahren.
Es war ja nicht seine Schuld – wie hätte er wissen können, was sie durchgemacht hatte?
Aber es gab noch etwas, wovor sie sich fürchtete. Wenn sie ihm von ihrer Mutter erzählte, würde er sie bemitleiden. Und das war das Letzte, was sie brauchte oder wollte.
Noch immer lächelte er sie an. Plötzlich war das Eis gebrochen.
Mimi grinste und beschloss, nicht mehr so stur zu sein. Schließlich gab es nichts, wofür sie sich schämen musste. Im Gegenteil, sie konnte auf ihren jahrelangen Kampf stolz sein, denn trotz aller Widrigkeiten hatte sie sich nicht unterkriegen lassen. Was sprach dagegen, sich endlich einmal einem anderen Menschen anzuvertrauen? Einem attraktiven Mann, den sie jeden Tag mehr respektierte?
„Du willst wissen, was ich in einem kleinen Strickladen in einem verschlafenen Teil von London mache, wenn ich stattdessen in Paris oder Mailand arbeiten und jeden Abend auf exklusive Partys gehen könnte? Partys, auf denen die Gäste Kleider aus meiner Kollektion tragen?“
„Sehr richtig.“ Er nickte und setzte hinzu: „Moment, lass mich überlegen. Vielleicht wurdest du nach der Schule ja von einem Kameltreiber aus Timbuktu entführt und hast jahrelang mit ihm in der Wüste gelebt, bis er dich für ein paar Kamele eingetauscht hat? Oder vielleicht wollte irgendein italienischer Gigolo dich heiraten, und du hast zu lange gebraucht, um ihm auf die Schliche zu kommen? Nein, warte, das nehme ich zurück, das ist zu langweilig. Mein Eindruck ist, dass du ein paar Jahre lang etwas sehr Ungewöhnliches gemacht hast. Stimmt’s?“
Mimi lächelte. „Du weißt ja gar nicht, wie recht du hast. Ich habe das gemacht, was niemand von mir erwartet hat.“ Sie holte tief Luft. „Meine Mutter wurde sehr krank, und ich musste mich um sie kümmern. Daher bin ich einfach hiergeblieben. So, jetzt weißt du Bescheid.“
Mimi wartete auf eine weitere spaßige Bemerkung von Hal, aber sie blieb aus.
Stattdessen schwieg er eine Weile. Dann stand er langsam auf und sagte: „Es … es tut mir wirklich leid, Mimi.“ Er klang so bewegt, dass sie ihn verblüfft ansah. Womit auch immer sie gerechnet hatte – dass er überrascht sein, ihr nicht glauben oder sich über sie lustig machen würde – all das geschah nicht. Im Gegenteil, Hal wirkte wie vom Donner gerührt.
„Das muss dir nicht leidtun“, entgegnete sie daher freundlich. „Du hast gefragt, und ich habe dir geantwortet. Und jetzt sollten wir uns langsam mal für die Party umziehen. Möchtest du vielleicht noch einen Kaffee? Ich kann gern noch eine Kanne machen.“
Aber als sie aufstand und in die Küche gehen wollte, hielt Hal sie fest.
„Warte! Weißt du, ich … es passiert nicht sehr oft, dass mich etwas überrascht, Mimi. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich hinter deinem Talent noch so viel mehr verbirgt.“
Sie schluckte. Sein Lächeln, das noch nie seine Wirkung auf sie verfehlt hatte, war jetzt so tief und warm, dass es sie geradezu hypnotisch in seinen Bann zog.
War das jetzt der echte Hal? Jedenfalls sah sie nicht mehr nur den verwegenen Abenteurer vor sich, den dominanten Bruder, den Überflieger oder welche Rolle er auch immer bisher verkörpert hatte. Nein, dies war der Mann, von dem sie bis zu diesem Moment immer nur geträumt hatte.
Und der echte Hal Langdon war einfach eine Wucht!
Es war auch der echte Hal, der sich jetzt vorbeugte, ihre Hand ergriff und sie zärtlich küsste.
„Wenn du darüber sprechen möchtest, nur zu. Aber wenn nicht, ist das für mich auch okay. Jedenfalls bin ich sehr beeindruckt von dem, was du getan hast. Das war unglaublich mutig.“
Mimi errötete.
„Ich habe nie darüber nachgedacht, ob es mutig ist oder nicht. In meinem letzten Jahr auf der Uni hatte Mum ihren ersten Schlaganfall, von dem sie sich nie
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