Geheimnisvoll wie der Orient
Problem.
Ihre sinnlichen Lippen sind das Problem, gestand er sich widerwillig ein.
Zu Mollys Entsetzen gab Tair ihr die Brille nicht sofort zurück, sondern hob sie gegen das Licht und blickte kurz hindurch.
Sie sah, wie er fragend die Brauen hob. Typisch, dass ausgerechnet er der Erste ist, der mein harmloses Geheimnis durchschaut, dachte sie.
„Fensterglas?“
Es gelang ihm kaum, seine Verachtung für dieses geschmacklose Versteckspiel zu verbergen. Vermutlich gehörten ihre langweilige Kleidung und ihr ungeschminktes Gesicht ebenso zu der Maskerade wie die nutzlose Brille. Keine Frau sah in ihr eine Konkurrentin. Doch jeder Mann, der in ihre Nähe kam, spürte schnell, was für eine sie war.
Molly wusste selbst nicht, warum sie sich plötzlich so schuldig fühlte, als wäre sie bei einem Verbrechen ertappt worden. Sie nickte nur schweigend.
Sie war ihm keine Erklärung schuldig. Er brauchte nicht zu wissen, wie sie sich gefühlt hatte, als sie im Alter von sechzehn dank eines Stipendiums für Hochbegabte an die Universität gekommen war. Damals hatte sie die Idee gehabt, sich mit einer Brille älter zu machen. Mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt, sie zu tragen, und gar nicht bemerkt, dass die Brille zu einem Schutzschild geworden war.
„Sie ist nur ein modisches Accessoire.“
„Ich empfehle Ihnen dringend, sich einen neuen Modeberater zu suchen.“
Trotz der völlig unmöglichen Situation musste sie lachen.
„Ich habe mich nie besonders für Mode interessiert.“
„Und aus diesem Grund kaufen Sie alles zwei Nummern zu groß?“
Er hielt sie also für unansehnlich. Molly setzte ein noch strahlenderes Lächeln auf.
Normalerweise fühlte sie sich wohl in ihrer Haut, und wenn dieser Mann mit seinem attraktiven Gesicht und dem perfekten Körper sich nur für Äußerlichkeiten interessierte, so war das seine Sache. Es war ihr egal, was oberflächliche Zufallsbekanntschaften von ihr dachten. Andernfalls hätte sie wirklich ein ernsthaftes Problem in ihrem Leben.
Anscheinend hatte sie ein ernsthaftes Problem.
Sie betrachtete seine schlanken Finger, die ihre Brille hielten. Eine einzige kurze Berührung hatte genügt, um etwas in ihrem Inneren zum Schmelzen zu bringen. Ein einmaliges Ereignis, für das es sicher eine logische Erklärung gab und das sich bestimmt nicht wiederholen würde.
Gleichwohl wollte sie es nicht darauf ankommen lassen. Sie würde Prinz Tair nicht noch einmal berühren. Wenn sie bereits beim ersten Mal unter Strom gestanden hatte, war nicht abzusehen, wohin eine Fortsetzung führen würde. Es wird ganz gewiss keine Fortsetzung geben!
Starr lächelnd nahm sie ihm die Brille ab, die er ihr mit einem süffisanten Blick überreichte.
Höchste Zeit, dieses dumme Geplänkel zu beenden.
„Ich warte auf Tariq“, sagte sie in der Hoffnung, dass er die Anspielung verstand und sich wieder entfernte, bevor sie sich noch mehr blamierte. „Er muss jeden Moment hier sein.“
„Ich weiß.“
„Sie wissen es?“ Was wollte er dann hier?
„Er hat mich mit einer Nachricht zu Ihnen geschickt.“
Sie blickte ihn fragend an. Konnte dieser Mann nicht endlich zur Sache kommen?
„Tariq hat keine Zeit.“
Sie schluckte enttäuscht. „Gut, dann … danke.“ Warum ging er nicht endlich? Sie konnte diese spannungsgeladene Atmosphäre nicht länger ertragen.
„Beatrice geht es nicht gut.“
Erschrocken sah Molly ihn an. „Beatrice …“ Sie packte Tair am Arm. „Was ist passiert?“ In ihrer Erinnerung tauchte das Bild der Freundin auf, wie sie sie vor zwei Tagen vorgefunden hatte – zusammengekauert, den Kopf zwischen den Knien, hatte Beatrice sich von einem Schwindelanfall erholt.
Molly hatte sofort Hilfe holen wollen, doch Beatrice hatte sie gebeten, nichts zu unternehmen. Tariq sei überbesorgt, hatte die Freundin gemeint, er solle nicht wegen eines kurzen Schwindels in Angst und Schrecken versetzt werden.
Ich hätte nicht auf Bea hören sollen, dachte Molly. Warum hatte sie ihren Mann nicht sofort informiert?
Tair spürte ihren festen Griff um seinen Arm.
„Anscheinend hatte sie eine unruhige Nacht.“
Wenn ich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie Tariq aus ihrem Zimmer kam, würde ich ihr die Besorgnis wirklich abnehmen. Das Mauerblümchen muss eine sehr gute Schau spielerin sein.
„Der Arzt war heute Vormittag bei ihr.“
„Der Arzt … oh Gott!“
Tair sah, wie sie erbleichte. Eine Ohnmacht passte nicht in seine Pläne.
„Er hat eine Einweisung ins
Weitere Kostenlose Bücher