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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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sich um Sie kümmert?«
    Grace schüttelte den Kopf. »Unser Vater starb ein paar Jahre vor Mama«, fuhr sie fort, denn davon war sie überzeugt. Lily glaubte natürlich immer noch, was Mama ihnen erzählt hatte: dass Papa fortgegangen sei, um sein Glück zu machen, und eines Tages zurückkehren würde.
    »Dann sind Sie also eine Waise?«
    »Ja, Sir.« Grace fühlte sich scheu und unsicher bei diesem Gespräch, denn wenn sie sich sonst einmal mit einem jungen Mann unterhalten hatte, dann höchstens, um ihm einen Bund Kresse zu verkaufen. »Ich lebe mit meiner Schwester zusammen, und wir kommenganz gut zurecht«, fuhr sie fort, denn sie wollte nicht, dass er sie für verarmt hielte.
    »Aber was haben Sie denn nach dem Tod Ihrer Mutter angefangen? Sie müssen ja noch ein kleines Kind gewesen sein, das sie auf dem Arm trug.«
    »Ich war ungefähr fünf und meine Schwester sechs«, sagte Grace. »Wir wurden in ein Waisenhaus gebracht, das eine gutherzige Frau führte, und waren dort recht glücklich.«
    »Und dann   …?«
    »Als ich vierzehn wurde, kamen wir in eine Schulanstalt, wo ich eine Ausbildung zur Lehrerin bekommen sollte.«
    Er musterte sie prüfend. »Ich sehe es Ihrem Gesicht an, dass es Ihnen dort nicht zugesagt hat.«
    Grace spürte einen Anfall von Panik in ihrem Inneren aufwallen und bemühte sich, trotzdem ruhig zu antworten. »Nein, das hat es nicht, Sir. Daher haben wir beschlossen, wegzugehen.«
    »Wann war das?«
    »Vor ungefähr einem Jahr. Und seither schlagen wir uns alleine durch und   … und kommen ganz gut zurecht. Wir verkaufen Brunnenkresse auf der Straße.«
    Er nickte. »Und da Ihre Schwester älter ist als Sie, kann sie Ihnen zumindest ein wenig mütterliche Fürsorge schenken.«
    Grace nickte langsam. Was hätte es schon gebracht, ihm zu erzählen, dass Lily zwar den Jahren nach älter war als sie selbst, dass es sich in Wirklichkeit allerdingsgenau andersherum verhielt, weil Lily nämlich
Graces
ganzer Fürsorge bedurfte und ihr Leben lang nie in der Lage sein würde, für sich selbst zu sorgen.
    Als der Begräbnisgottesdienst sich dem Ende näherte und die Gruppe an Miss Solents Grab dem Pfarrer ihren Dank aussprach, erhob sich James und sagte, er müsse nun wieder zu den anderen zurück. Als er sich bei Grace verabschiedete, griff er in die Innentasche seines Jacketts, und Grace erstarrte vor Scham, weil sie glaubte, er werde ihr Geld anbieten. Doch das tat er nicht.
    »Ich bin Anwaltsgehilfe in Lincoln’s Inn«, sagte er und reichte ihr eine Visitenkarte. »Falls ich Ihnen einmal irgendwie behilflich sein kann, zögern Sie nicht, in unsere Kanzlei zu kommen und nach mir zu fragen.«
    Grace konnte sich keine Umstände vorstellen, unter denen sie seines Beistands bedurft hätte, nahm die Karte jedoch entgegen. Darauf stand:
    MR JAMES SOLENT
    Anwaltssekretär bei
    Mr   Ernest Stamford, Anwalt der Krone
    Moriarty Chambers, Lincoln’s Inn
    »Ich sehe es Ihrer Miene an, dass Sie nicht im Entferntesten daran denken, je von meinem Angebot Gebrauch zu machen. Aber wenn ich Ihnen tatsächlich einmal helfen kann, dann, bitte, geben Sie mir dieGelegenheit dazu. Meiner Schwester zuliebe.« Er lächelte traurig. »Susannah zögerte keinen Augenblick, wenn sie einer jungen Dame in Not behilflich sein konnte, wissen Sie. Und wer sagt denn, dass sie nicht irgendwie ihre Hand im Spiel gehabt hat, damit wir uns heute hier bei ihrer Beerdigung begegnen?«
    »Das ist ein reizender Gedanke«, sagte Grace. Sie stand auf, belastete vorsichtig ihren Knöchel und stellte fest, dass sie keine Schmerzen mehr hatte. »Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit« sagte sie zu James, »und ich wünsche Ihnen noch einen so angenehmen Tag, wie es unter den Umständen möglich ist.«
    »Bis zu unserem nächsten Zusammentreffen«, sagte James mit einer kleinen Verbeugung.
    Der Nekropolis-Zug verließ Brookwood erst wieder um drei Uhr nachmittags, und so ging Grace in die kleine Kapelle, ließ sich so unauffällig wie möglich in der hintersten Bank nieder, dachte über alles nach, was ihr in den vergangenen Tagen widerfahren war, und versuchte, es irgendwie zu begreifen. Von Zeit zu Zeit lief sie Gefahr, vor schierer Müdigkeit einzunicken, doch jedes Mal, wenn das passierte, ließ ein wiederkehrender Angsttraum sie hochschrecken, in dem das Baby immer noch in ihrem Bauch war und sie panisch von hier nach dort rannte, auf der Suche nach einem sicheren Ort, um es zur Welt zu bringen.
    Als es halb drei schlug (und ihr

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