Geheimsache Labskaus
altes technisch nicht ausgefeilt genug.“ Oskar versuchte, nicht allzu enttäuscht zu klingen. Er wollte nicht undankbar sein. Aber der Gedanke daran, dass seine Eltern so überhaupt nicht wussten, wie sie ihm eine Freude machen konnten, drückte ihm auf die Stimmung. „Wieso, ist doch total praktisch!“ Zack grinste. „Jetzt kannst du mit dir selbst telefonieren, wenn dir mal langweilig ist!“
Jetzt musste Oskar doch ein bisschen lächeln. „Genau. Und deshalb habe ich ab jetzt auch immer beide Geräte dabei. Ist deine Mutter eigentlich noch weg?“, wechselte er das Thema.
„Ja, klar. Sie ist doch erst letzte Woche losgefahren“, antwortete Zack. Seine Mutter war Krankenschwester, ihre beiden Kinder Zacharias und Charlotte zog sie in einer kleinen Mietwohnung in Barmbek alleine groß. „Sie soll vier Wochen fortbleiben, damit sie sich mal erholen kann. Darauf besteht Charlie.“ Charlie – so nannten alle Leute Charlotte.
Oskar war ein bisschen neidisch: vier Wochen allein zu Haus – traumhaft! Seine Eltern fuhren nie so lange weg. Und schon gar nicht ohne ihn. Diesen Sommer blieben sie sogar ganz zu Hause. Seine Mutter hatte mit ihrem neuen Yoga-Studio zu viel zu tun, sagte sie. In zwei Wochen sollte die große Eröffnung sein, sie musste darum ständig organisieren, reparieren oder delegieren. Und sein Vater, Hüftchirurg am Universitäts-Krankenhaus, wollte nicht ohne sie in den Urlaub. Oskar hegte den Verdacht, es mache seinem Vater schlicht mehr Spaß, künstliche Gelenke in Patienten hineinzuoperieren, als mit seinem Sohn in die Ferien zu fahren. Jedenfalls fiel der Sommerurlaub dieses Jahr für die ganze Familie flach. Oskar hatte beschlossen, möglichst viel Zeit bei Zack zu Hause zu verbringen. Charlie als Aufpasserin war ihm viel lieber als seine Eltern. Sie war lustiger. Und geheimnisvoller. Beinahe jede Woche schien sie ihre Haarfarbe zu wechseln. Zurzeit trug sie Schwarz, mit dunkelroten Strähnen. Das sah ziemlich gut aus. Zack riss ihn aus seiner Träumerei. „Ich hab strikte Anweisung von Charlie. Wenn meine Mutter anruft, muss ich ihr sagen, dass wir sie überhaupt nicht vermissen. Sonst macht sie sich womöglich Sorgen und kommt früher zurück!“
„Wo ist sie überhaupt hin?“
„Sie wollte mit ’ner Freundin im VW-Bus nach Spanien.“
„Klingt gut. Hat sie sich aber auch verdient.“
„Mann, das kannste laut sagen. Meine Mutter hat seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Dafür ohne Ende Überstunden. Die braucht mal ’ne Pause!“
Als sie ein großes Rasenstück direkt am Wasser erreichten, machte Zack die Leine los. Er kraulte dem Hund die Stoppelhaare, ging weiter und rief: „Beißer, bei Fuß!“ Raissa sah mit ihrem rasierten Haar und dem Fellhöschen am Po zwar dämlich aus, aber sie war ein ziemlich kluger Hund. Sie wusste, was „Sitz“ hieß und was „Platz“ bedeutete. Auch das Kommando „Bei Fuß“ kannte sie genau. Darum trottete sie nun brav neben Zack her.
Dann sah sie den Hut. Er lag auf einer Parkbank. Ein gelber Strohhut, den seine Besitzerin kurz abgesetzt hatte, während sie die Mittagssonne genoss. Raissa blieb stehen und bellte. „Was geht ab, Beißer?“, fragte Zack. Raissa stellte sich auf die Hinterbeine. „Bitte nicht!“ In Zacks Stimme schwang leichte Panik. Er wusste, was jetzt kommen würde. „Raissa, Sitz!“ Aber da war der Pudel schon losgaloppiert. Raissa schnappte sich die Beute mit den Zähnen und rannte zu den Jungen zurück. Schwanzwedelnd ließ sie den Hut ins Gras fallen. Dessen Besitzerin sprang auf und fuchtelte empört mit den Armen. Zack hob den Hut auf, gab das Diebesgut zurück und hob entschuldigend die Hände.
In diesem Augenblick ertönte, etwas blechern, ein Schlagzeugsolo aus Oskars Hose. Überrascht griff er in die Tasche. Es war sein Handy – allerdings das neue. Wer rief ihn denn darauf an? „Hallo, hier ist Oskar“, meldete er sich zaghaft.
„Hier spricht Mama! Ich wollte nur sehen, ob dein neues Handy auch funktioniert.“
Natürlich: seine Mutter. Wer sonst? „Ja, sieht ganz so aus.“
„Wo steckst du denn?“
„An der Alster. Also, bis später dann.“ Seit seine Eltern ihm das erste Handy geschenkt hatten, rief seine Mutter ständig bei ihm an – als würde sie ihn auf Schritt und Tritt überwachen wollen.
„Oskar, warte doch. Ich hab gerade Zeit zum Plaudern! Der Handwerker, der den Boden im Meditationsraum verlegen soll, kommt erst in zehn Minuten. Mit wem bist du denn
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