Geheimsache Labskaus
Hansen denn auf einmal so begriffsstutzig?
Einatmen. Ausatmen. „Zeigen sie mir, wem Sie den Jungen ausgeliefert haben, und wo man ihn hingebracht hat! Sofort!“ Anderling zog ein Formular aus der Tasche und hielt es Hansen hin. Die sah auf die dahingekritzelte Unterschrift. „Was soll das denn heißen?“, fragte sie unwirsch.
„Da bin ich mir auch nicht ganz sicher“, sagte Anderling kleinlaut.
Hansen fasste sich an die Schläfe. Der kleine Handwerker mit der Bohrmaschine war wieder an ihrem Schädelknochen zugange. „Sie sind entlassen“, zischte sie.
24. Juli, 20.24 Uhr
„Im Labor eingesperrt?“, staunte Elektra. „Und wieso auch Oskar?“
„Keine Ahnung. Fest steht: Wir müssen den beiden helfen, und zwar schnell!“ Dann murmelte Charlie mehr zu sich selbst: „Eingang Süderfeldstraße, an der Kindernotaufnahme links vorbei … ich hoffe bloß, ich habe Oskar richtig verstanden. Sonst finden wir das nie.“
„Weißt du, wie wir hinkommen?“
„Klar, mir nach!“ Charlie marschierte im Eilschritt los. Die Pailletten ihres neuen Kleides klimperten leise. „Zum Bahnhof Altona. Von da können wir den Bus nehmen, den Rest laufen wir.“
Uncool. Irgendwie hatte Elektra gedacht, als Retter in höchster Not müsse man mit Vollgas über rote Ampeln brettern.
Eine halbe Stunde später standen die beiden in der Süderfeldstraße an demselben Eingang, durch den auch der VW-Bus der Wissenschaftler auf das Krankenhausgelände gefahren war. Vor ihnen ein Durcheinander an großen und kleinen Häusern, älteren Rotklinkerbauten und supermodernen Blöcken aus Stahl und Glas, dazwischen: Straßen, Gehwege und zahllose Wegweiser. Das alles passte nicht mit dem zusammen, was Charlie sich von Oskars Wegbeschreibung gemerkt hatte.
Auch Elektra sah etwas ratlos aus: „Und was machen wir jetzt?“
„Oskar fragen.“ Charlie kramte ihr Handy hervor und drückte auf die Wahlwiederholung. „Wie jetzt, nicht erreichbar? Das gibt’s doch nicht!“ Wütend stopfte Charlie das Gerät zurück in ihre Tasche. „Dann fragen wir eben woanders!“
Im Eilschritt irrten die beiden Mädchen auf dem düsteren Gelände umher. Die Klinikanlage schien wie ausgestorben, bis sie in der Ferne einen hell erleuchteten Eingang entdeckten. Davor stand auf einem Schild in großen Buchstaben „Kindernotaufnahme“.
„Na also“, sagte Charlie zufrieden. Sie stürmte durch die Glastür an den Empfangstresen, wo eine Krankenschwester hochschreckte, als wäre sie bei einem Nickerchen überrascht worden.
Elektra wartete draußen. Sie konnte nicht verstehen, was die beiden sprachen. Aber die ältere Dame im hellgrünen Kittel machte recht komplizierte Bewegungen, zeigte hierhin und dorthin, drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse. Charlie nickte. Und nickte. Und nickte – und mit jeder Kopfbewegung machte sie einen Schritt rückwärts in Richtung der Tür. Bis sie wieder neben Elektra stand.
„Entweder dieses Gelände hier ist tatsächlich verwinkelter als die Altstadt von Kairo“, berichtete Charlie, „oder die gute Frau hat eben die erste Wegbeschreibung ihres Lebens gegeben. Oder beides. Aber ich glaube, ich weiß trotzdem ungefähr, wo wir hinmüssen.“
Wenig später standen die beiden vor einem kastenförmigen Bau, der mit seinen grauen Mauern in keinster Weise einladend aussah. Alle Fenster waren dunkel. Die stählerne Eingangstür mit den kleinen Scheiben aus Sicherheitsglas war verriegelt. Das Schild daneben verriet: „Deutsches Forschungszentrum für angewandte Animalkapitaloptimierung, Nebenstelle Hamburg-Eppendorf. Zutritt nur mit Genehmigung der Institutsleitung.“
Charlie rüttelte an der Türklinke. „Abgeschlossen!“
„Dann machen wir eben auf. Geh mal zur Seite.“ Mit einer Hand schob Elektra Zacks Schwester zur Seite. Mit der anderen fummelte sie aus den Beintaschen ihrer weiten Hose ein klimperndes Bündel Metall hervor. „Die sehen nur aus wie Schlüssel“, erklärte sie, „aber das sind Dietriche. Damit bekommt man fast alles auf.“
Charlie staunte. „Woher weißt du das?“
„Aus dem Internet. Da kann man die Dinger auch kaufen. Gib mir mal deinen Schülerausweis.“ Elektra nahm die Karte, warf einen kurzen Blick darauf und kicherte.
„Ja, ich weiß, die Haare … ich war erst 14, als das Foto gemacht wurde. Sieht unmöglich aus.“
Elektra antwortete nicht. Sie war bereits in ihre Aufgabe vertieft. Sanft bewegte sie mit der rechten Hand ihren Dietrich im Schloss, zog Charlies
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