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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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Hauseigentümern gnädig sein mochte, in deren Gebäuden Rhyme einen Tatort aufsuchen wollte und feststellen musste, dass es keine Rampen gab und auch die Türbreite nicht den Vorschriften des Behindertenschutzgesetzes entsprach).
    Während er nun den Radiobericht verfolgte, ärgerte es ihn, dass gewisse Leute in der Stadt sich offenbar dem Selbstmitleid ergeben hatten. »Ich werde einen Brief schreiben«, teilte er Thom mit.
    Der schlanke junge Betreuer, in dunkler Hose, weißem Hemd und einem dicken Pullover (Rhymes Stadthaus am Central Park West verfügte über eine anfällige Heizung und eine uralte Wärmedämmung), blickte auf. Er war damit beschäftigt, den Raum weihnachtlich zu schmücken. Rhyme freute sich an der Ironie des Augenblicks: Thom stellte soeben einen winzigen immergrünen Baum auf einen Tisch, unter dem bereits ein Präsent lag, allerdings ohne hübsches Geschenkpapier: ein Karton mit Wegwerfwindeln für Erwachsene.
    »Einen Brief?«

    Rhyme erläuterte seine Theorie, dass es patriotischer sei, alles wieder seinen normalen Gang gehen zu lassen. »Ich werde denen die Hölle heiß machen. Der Times , glaube ich.«
    »Ach ja?«, entgegnete der Betreuer, dessen Berufsbezeichnung »Pflegekraft« lautete (obwohl Thom behauptete, in Diensten von jemandem wie Lincoln Rhyme müsse es eher »Heiliger« heißen).
    »Ja, werde ich«, versicherte Rhyme nachdrücklich.
    »Schön für dich, aber...«
    Rhyme hob eine Augenbraue. Der Kriminalist konnte mit seinen noch funktionierenden Körperteilen – Schultern, Gesicht und Kopf – so gut wie jeder Gefühlsregung Ausdruck verleihen.
    »Die meisten Leute, die sagen , sie würden einen Brief schreiben, setzen das nie in die Tat um. Wer tatsächlich einen Brief schreibt, macht sich einfach an die Arbeit, ohne es groß auszuposaunen. Ist dir das schon mal aufgefallen?«
    »Danke für diesen brillanten Einblick in die Psychologie, Thom. Du weißt, dass mich nichts davon abhalten wird.«
    »Schön«, wiederholte der Betreuer.
    Der Kriminalist steuerte seinen roten Rollstuhl Modell Storm Arrow per Touchpad zu einem der sechs großen Flachbildschirme im Zimmer.
    »Kommando«, sagte er in das Mikrofon, das neben seinem Kopf an dem Rollstuhl befestigt war. »Textverarbeitung.«
    Die Spracherkennung des Computers öffnete auf dem Monitor pflichtgetreu WordPerfect.
    »Kommando, Schreiben. ›Sehr geehrte Damen und Herren‹. Kommando, Ausrufezeichen. Kommando, Absatz. Kommando, Schreiben. ›Mir ist in letzter Zeit aufgefallen...‹«
    Es klingelte an der Haustür, und Thom ging nach vorn.
    Rhyme schloss die Augen und überlegte sich, was er dem Rest der Welt an den Kopf werfen würde, als eine Stimme ihn aus seinen Gedanken riss. »He, Linc. Frohe Weihnachten.«
    »Äh, gleichfalls«, brummte Rhyme dem beleibten und zerzaust wirkenden Lon Sellitto zu, der zur Tür hereinkam. Der stämmige Detective musste aufpassen, wohin er trat. Zu viktorianischer Zeit war dieser Raum ein anheimelnder Salon gewesen, doch mittlerweile glich er einem zum Bersten gefüllten forensischen Labor mit Lichtmikroskopen, einem Elektronenmikroskop, einem Gaschromatographen,
Gestellen voller Bechergläser, Pipetten, Petrischalen, Zentrifugen, Chemikalien, Büchern und Zeitschriften, Computern und dicken Kabeln, die kreuz und quer verliefen. (Als Rhyme angefangen hatte, von zu Hause aus als Berater zu arbeiten, hatten die leistungsstarken Geräte regelmäßig die Sicherungen durchbrennen lassen. Sein Stromverbrauch entsprach vermutlich dem des gesamten restlichen Häuserblocks.)
    »Kommando, Lautstärke, Stufe drei.« Das Steuermodul der Haustechnik drehte gehorsam das Radio leiser.
    »Bist wohl nicht in weihnachtlicher Stimmung, was?«, fragte der Detective.
    Rhyme antwortete nicht und schaute wieder auf den Monitor. »He, Jackson.« Sellitto bückte sich und streichelte einen kleinen Hund mit dichtem Fell, der zusammengerollt in einem Beweismittelkarton des New York Police Department lag und vorübergehend hier wohnte. Seine frühere Eigentümerin, Thoms alte Tante aus Westport, Connecticut, war kürzlich nach langer Krankheit verstorben und hatte dem jungen Mann unter anderem Jackson vererbt, einen Havaneser. Diese mit dem Bichon verwandte Rasse stammte aus Kuba. Jackson würde bleiben, bis Thom ein neues Zuhause für ihn gefunden hatte.
    »Es ist was Übles passiert, Linc«, sagte Sellitto und richtete sich auf. Er wollte den Mantel ausziehen, besann sich dann aber eines anderen. »Mann, ist das

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