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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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auch wenn Mark Cohen, einer der Koautoren von Harris, als ich ihm diese Frage vorlegte, darauf hinwies, dass es eine Sache
     sei, im Labor nach den neuronalen Korrelaten zu suchen, und etwas ganz anderes, wenn die im Labor beobachteten Vorgänge beispielsweise
     in einem Sitzungssaal geschehen, wo andere Menschen involviert sind. Denn die Aussagenmarker »wahr«, »falsch« und »weiß nicht«
     sind alles andere als neutral und keimfrei.
    »Beeinflussung ist ein sozialer Vorgang«, sagt Cohen. »Und soziale Interaktionen mobilisieren eine Menge anderer Gehirnareale,
     um die wir uns in unseren Studien nicht gekümmert haben   … Was wir allerdings sagen können, ist, dass Glauben, Nicht-Glauben und Unentschiedenheit ganz offensichtlich mit den je eigenen
     neuronalen Signaturen für Akzeptanz, Zurückweisung und Unschlüssigkeit verbunden sind.«
    Und das wiederum hat Folgen für SPICE, unser Fünf-Punkte-Modell. Ein Beeinflussungsstil, der gleichzeitig alle drei Beeinflussungshotspots
     des Gehirns engagiert, nämlich: erstens mit Inkongruenz das paraanteriore Cingulum; zweitens mit Vertrauen und Empathie den
     präfrontalen Cortex; und der drittens mit der Kombination von Elementen die Inselrinde freistellt und ihre Tätigkeit nicht
     aktiviert – ein solcher Stil ist unzweifelhaft wirkmächtig. Unter bestimmten Umständen (z.   B. bei der Überzeugungskraft von Säuglingen) sogar unwiderstehlich.
    Zur Ablenkung getrieben
    Bei vierzig Grad im Schatten und einem Bier spreche ich mit Colin MacLeod, damals Professor für klinische Psychologie an der
     University of Western Australia in Perth, über das, was Harris herausgefunden hatte. MacLeod ist ein Fachmann für Angststörungen
     und weiß sehr gut Bescheid darüber, wie Glauben und Gefühl sich gegenseitig in ihrem Wahn steigern. Er macht mich mit Tania
     bekannt, einer 27   Jahre alten Kosmetikerin, die in einem örtlichen Schönheitssalon arbeitet und eine Sicherheitsgurtphobie hat. Sie wollte deshalb
     sogar ihr Auto verkaufen.
    »Wir verbringen eine Menge Zeit damit, uns über die Sorgen Sorgen zu machen«, erklärt MacLeod. »Wir vermischen die Sache,
     über die wir uns Sorgen machen, mit der Sorge, zu der die Sache, über die wir uns Sorgen machen, Anlass gibt. Dann bekommt
     diese Sorge zweiten Grades das Übergewicht, und alles geht durcheinander. Die Sorge zweiten Grades ist plötzlich wichtiger
     als die Sorge ersten Grades, wenn du verstehst, was ich meine   … Was müssen wir also tun? Ironischerweise müssen wir die Aufmerksamkeit von Tania erst mal auf ihre Hauptsorge, die Sorge
     ersten Grades, die Phobie vor dem Sicherheitsgurt, lenken. Ohne dass sie es merkt, lenken wir ihre Aufmerksamkeit quasi auf
     eine ›Ersatzsorge‹ und sorgen so dafür, dass sie die
echte
Quelle ihrer Phobie, die Sorge über die Sorge, vergisst. Grundsätzlich ist das eine getarnte Ablenkung. Tania wird nicht von
     der aktuellen Phobie abgelenkt, sondern von der Angst, die diese Phobie begleitet.«
    Wenn man das Gehirn mit heruntergelassenen Hosen erwischt, ist alles möglich.
    Als Tania kommt, gehen wir zum Parkplatz. MacLeod plaudert mit ihr. Das beruhigt sie.
    »Zuerst muss ich die Symptome selbst sehen, damit ich weiß, womit ich es zu tun habe«, sagt er in sachlichem Ton. »Ist das
     in Ordnung?« Tania nickt.
    »Gut«, sagt MacLeod. »Gehen wir es eins nach dem anderen an. Zuerst sag mir bitte, wie du dich fühlst, wenn wir zum Parkplatzgehen. Konzentrier dich auf deine Angst und erzähl mir davon.«
    Stumm geht Tania weiter, während sie nach Worten sucht, um ihre Gefühle auszudrücken. Dann sagt sie: »Im Augenblick geht es
     mir gut, glaube ich.«
    »Das ist in Ordnung«, sagt MacLeod. »Wir versuchen es gleich noch einmal.«
    Und prompt stellt er ihr die Frage noch einmal, als wir an ihrem Auto ankommen. »Konzentrier dich auf deine Angst«, drängt
     er sie. »Sag mir, wie es sich anfühlt.« Plötzlich gibt es da nichts mehr zu sagen. Auch nicht, als sie sich in ihr Auto setzt
     und sich anschnallt. Um den Parkplatz zu fahren scheint ihr keine Probleme zu bereiten. Sowenig wie der Verkehr draußen auf
     der Straße. Plötzlich erscheint es so, als ob der Therapietermin unnötig gewesen sei. Es war falscher Alarm. Und die Phobie
     – wenn es so etwas war – hat es nie gegeben. Abgesehen davon, dass sie sie ihren Job gekostet hatte.
    Als wir wieder im Schatten sitzen, bei einem weiteren Bier, frage ich MacLeod, ob er gerade das SPIC E-Modell

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