Gehirnfluesterer
Symptome. Etwas später adaptierten Matt Field und Brian Eastwood an der University of Liverpool
CBM für den Einsatz bei schweren Alkoholikern (neutrale Bilder gegen auf Alkohol bezogene Bilder). Als sie im Anschlussmit einem genialen Verfahren, das als »Geschmackstest« daherkam, die Alkoholabhängigkeit prüften, stellten sie fest, dass
diejenigen, die »neutral« konditioniert waren, weit weniger »Proben« in sich hineinschütteten als die auf Alkohol Konditionierten.
Noch spektakulärer sind die Ergebnisse von Studien, die sich mit Schlaganfallpatienten befassen. Edward Taub von der University
of Alabama hat die Taub Therapy Clinic eingerichtet. Dort gibt es nicht selten Patienten, die auch ihre nicht gelähmten Gliedmaßen
nicht mehr kontrollieren können. Der Grund dafür ist nicht leicht zu erkennen. Es sei denn, man hat ein Aha-Erlebnis wie Taub.
Er hatte festgestellt, dass Schlaganfallpatienten nach dem Anfall eine Art »kortikalen Schock« erleiden, während dessen jeder
Versuch, die Gliedmaßen zu bewegen, scheitert. Wenn sich das über ein paar Monate hinzieht, dann tritt ein, was Taub (so ähnlich
wie die »erlernte Hilflosigkeit«, von der wir in Kapitel 5 gehört haben) »erlernten Nicht-Gebrauch« nennt. Das neuronale Areal,
das für den betroffenen Körperteil zuständig ist, beginnt – nach dem unabänderlichen Motto des Gehirns »Friss oder stirb«
– zu verkümmern. Aber wenn man einen Menschen dazu bringt, dieses Areal zu trainieren und weiterzumachen trotz der Fehlschläge,
stellen sich im wahrsten Sinne des Wortes bemerkenswerte Fort»schritte« ein. Das Gehirn kann sich selber wieder einschalten,
in verödeten Gehirnlandschaften neue Nervenverbindungen erzeugen, da, wo früher die alten waren. Und wenn man sogar Lähmung
»wegreden« kann, wo sind dann die Grenzen der Überzeugung?
Elaine Fox, Professorin für Psychologie an der University of Essex, befasst sich mit den Auswirkungen von CBM tief im Gehirn.
Das Forschungsprogramm, das sie zusammen mit Naz Derekshan von der University of London aufbaut, ist noch in den Anfängen.
Aber eines der Areale, das sie besonders genau untersucht, wird der zentrale Bereich des präfrontalen Cortex sein, der Bereich
des Gehirns, der für Überzeugungen zuständig ist, wie Sam Harris gezeigt hat. Speziell will sie sich mit den Veränderungen
in den Netzwerken der Aufmerksamkeitskontrolle zwischen dem präfrontalen Cortex und der Amygdala befassen. Vielleichtlässt sich hier eines Tages die Hardware der Überzeugung, eine »Leitbahn« im Gehirn aufzeigen. Bei CBM handelt es sich zwar
nicht um »Überzeugung im eigentlichen Sinn«, sagt Fox, »denn die Probanden nehmen freiwillig an den Versuchen teil, und die
Veränderungen erfolgen unterschwellig. Aber als Ausgangspunkt für die Antwort auf die Frage, was im Gehirn passiert, wenn
wir unsere Meinung ändern, ist die Methode gut geeignet.«
Das denke ich auch. Ob man eine »geschlossene« oder »offene« Einstellung hat; ob man von einem Raumschiff abgeholt wird oder
nicht; ob man sein Bett nimmt und geht – der Code für jedes Glaubensmuster ist im Gehirn verborgen, in den ewigen elektronischen
Stürmen, die in Millisekunden hindurchjagen. Ändere die Windrichtung oder die Stärke des Sturms, und du kannst den Glauben
steuern. Du kannst – mit anderen Worten – überzeugen.
Nur nicht den Spiegelmann.
Als ich wieder in Sydney war, bohrte ich noch einmal nach. »Was ist, wenn er in eine Pfütze guckt und sein Spiegelbild sieht?«,
fragte ich Max Coltheart. »Wie erklärt er sich das, dass sein Doppelgänger unter Wasser ist?« Coltheart zuckte mit den Achseln.
»Da wird ihm schon was einfallen. Er kann doch alles erklären. Es geht da nicht um Logik. Das Problem liegt darin, wie sein
Gehirn sich die Welt erklärt. Wie es die eingehende Information deutet und daraus eine in sich geschlossene und schlüssige
Geschichte konstruiert.«
Darin liegt das Geheimnis. Wie Michael Mansfield schon sagte: »Es geht nicht nur darum,
dass
man Beweise vorlegt. Es geht darum,
wie
man sie vorlegt.«
Postskriptum – Vollkommene Unvollkommenheit
Eine der Fragen, die mir zum »Gehirnflüstern« immer wieder gestellt werden, lautet, ob das jeder kann. Können wir alle im
entscheidenden Moment den Kurs zu unseren Gunsten ändern oder gelingt das nur den wenigen, die das Know-how haben,den Überzeugungsgenies? Meine Antwort ist stets die gleiche: Da gibt es
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