Gehirnfluesterer
zu steigern – alle einem Muster: einem Lehrplan
der Beeinflussung, der verheerender nicht sein könnte. Jonestown lag in der Wildnis von Nordwest-Guayana. Die Mühe, von dort
wegzukommen, war in vielen Fällen größer als der Nutzen. Zudem hatten die Sektenmitglieder die Verbindungen zu Freunden und
Verwandten mit der Zeit immer mehr verloren. »Draußen« gab es keinen mehr. Innen rieselte eintönig Jones’ Stimme 24 Stunden täglich aus einer Lautsprecheranlage. Das war schon keine Gehirnwäsche mehr, sondern ein Einweichen, ein Aufweichen
des Gehirns. Die Kinder seiner Anhänger wurden angehalten, Jones Daddy zu nennen. Langsam, hinterhältig, systematisch – durch
monotone und unbeirrbare Beharrlichkeit– wollte Jones Gott werden. Erst war er allgegenwärtig. Dann war er alles.
Opfer häuslicher Gewalt berichten das Gleiche; so auch Lisa, eine 3 5-jährige Mutter von zwei Kindern: »Es begann mit meinen Freundinnen. Er sagte: ›Du bist zu gut für sie!‹ Und allmählich war es auch
so. Langsam verlor ich zu allen den Kontakt. Dasselbe mit meiner Familie. Meine Mutter sei gegen ihn, mein Bruder sei gegen
ihn, warum also sollte ich mich mit ihnen abgeben? Selbst wenn wir uns nur zu einer Tasse Tee trafen, wurde das so verstanden,
als ob ich Partei ergreife. Er brachte mich um neun zur Arbeit und holte mich um fünf ab. Ich sollte einfach keine Gelegenheit
haben, mit irgendwem etwas zu unternehmen. In der Mittagspause rief er an, um festzustellen, ob ich allein war. Was das Geld
betraf, so hatte ich von meinem Gehalt fast anderthalb Jahre so gut wie nichts – er richtete es so ein, dass es direkt auf
sein Konto kam … Das mit der Gewalt begann wegen meiner Kleidung. Wenn wir ausgingen und ich mich schön anziehen und schminken wollte, schlug
er mich und nannte mich Schlampe. Und wenn ich mich nicht schön anzog, schlug er mich, weil ich mir keine Mühe gäbe. Ich konnte
nur verlieren. Zuletzt kontrollierte er sogar meine Unterwäsche, um zu sehen, ob ich mit jemandem geschlafen hatte. Da endlich
begriff ich. Das brachte das Fass zum Überlaufen.«
Fälle wie diesen kann man sich, wenn man davon liest, kaum vorstellen. Aber man muss sich nur in den Abteilungen für häusliche
Gewalt der Polizei erkundigen. Man wird erfahren, dass Dinge wie die von Lisa geschilderten in allen Einzelheiten stimmen.
Die Beamten bearbeiten jedes Jahr Hunderte solcher Fälle.
Detective Constable Andy Green von der Domestic Violence Unit der Polizei in Cambridge hat mir die verschiedenen Täterprofile
erläutert. Und während er das tat, wurde mir plötzlich bewusst, dass diese Beschreibungen nicht nur auf den häuslichen Bereich
zutreffen, sondern auch auf den Arbeitsplatz. Mindestens einen früheren Kollegen habe ich wiedererkannt. Green stimmte mir
zu: »Völlig richtig, das sind Methoden der Beeinflussung, die überall Anwendung finden können. Wir haben hiermit dem häuslichen Bereich zu tun, aber das heißt nicht, dass sie nicht auch in anderen Lebensbereichen zu finden sind. Es
sind verschiedene Mittel zum immer gleichen, elenden Zweck.« Er hat eine Art Klassifizierung entwickelt. Sie ist nicht wissenschaftlich
überprüft, basiert aber auf Jahren praktischer Erfahrung und hat Eingang in eine kleine Aufklärungsbroschüre gefunden. Das
Inventar reicht von dem tyrannischen Chef, der Sie anschnauzt, bis zum Vorarbeiter, der Sie niedermacht und Ihnen sagt, Sie
seien hässlich, dumm oder nutzlos, wenn nicht alles zusammen.
Da stoßen wir auf den Herrn des Hauses, der Sie wie einen Diener behandelt, auf den Lügner – »entspann dich, war nur ein Scherz« –, auf den Verführer, der gleichermaßen droht, lobt und schmeichelt. »Häufig«, sagt Green, »sind die Auswirkungen der Manipulation
so stark, dass du eine Tür für das Opfer aufmachen und sagen kannst: ›Schau, du kannst weg … es gibt einen Ort, an den du gehen kannst … lass dir das nicht länger antun‹, und sie schauen dich an, als seist du verrückt. Sagen: ›Es wird ihn nur zornig machen‹
oder: ›Er meint es nicht so.‹ Es ist, als sei ihr Gehirn, nachdem sie Monat um Monat, Jahr um Jahr immer wieder dasselbe zu
hören bekamen, stillgestellt worden. Als seien sie von irgendeinem Virus infiziert.« Als ich ihm von Seligman erzähle, schüttelt
er den Kopf: »Ich wünschte, ich könnte sagen, das wäre was Neues für mich. Aber das ist es nicht.«
Vor ein paar Jahren wurde ich
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