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Gehirntraining - Ueber Die Benutzung Des Kopfes.

Titel: Gehirntraining - Ueber Die Benutzung Des Kopfes. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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sehr schön« zu verifizieren. Die Geisteswissenschaften haben sich keine Beschränkungen durch solche anspruchsvollen Kriterien auferlegt. Sie halten es nicht für notwendig, objektive, quantifizierbare
Daten zur Stützung ihrer Annahmen und Hypothesen beizubringen.
    Ohne Beschränkungen dieser Art erörtern sie zahlreiche Fragen, die für die Neurobiologie von großer Bedeutung sind: das Wesen der Schönheit oder der Liebe, die Bestimmungsgründe der Erkenntnis und deren Beschränkungen, die Merkmale des Sinns für Ästhetik und vieles andere. Auch bildende Künstler experimentieren in ihrer Arbeit mit Themen von großem neurobiologischen Interesse. So befassten sich Picasso und Braque in der frühen analytischen Phase des Kubismus intensiv mit der Frage, wie man Formen so darstellen kann, dass Entfernung, Blickwinkel und Lichtverhältnisse keine Rolle mehr spielen. Das ist nichts anderes als das neurobiologische Problem der Formenkonstanz, also die Frage, wie wir eine Form erkennen, wenn wir sie unter ganz verschiedenen Bedingungen betrachten. Mondrian beschäftigte sich intensiv mit den universellen Bestandteilen oder Bausteinen aller Formen. Neurobiologen befassten sich später mit demselben Problem und gelangten zu ganz ähnlichen (in meinen Augen wahrscheinlich ebenso falschen) Schlussfolgerungen, wonach die Gerade das Grundelement jeglicher Form bildet.
    Für Cézanne war dagegen die entscheidende Frage die Modulation der Form durch Farbe, gleichfalls ein Problem, das für Neurobiologen äußerst interessant ist, wenn sie zu verstehen versuchen, auf welche Weise getrennte Form- und Farbsysteme im Gehirn zusammenwirken, sodass beide sich in unserer Wahrnehmung miteinander verbinden. Man könnte leicht weitere Beispiele finden.
Wenn Künstler und Geisteswissenschaftler sich auf nicht objektive und nicht quantifizierende Weise mit Themen auseinandersetzen, die auch Naturwissenschaftler interessieren, verliert ihre Arbeit dadurch nichts von ihrer Bedeutung für die Neurobiologie. Diese Arbeiten, ob aus der Literatur oder der bildenden Kunst, sind Hervorbringungen und Übungen des Gehirns, und durch ihre ernsthafte Erforschung lassen sich wichtige Erkenntnisse zur Organisationsweise des Gehirns gewinnen.
    In der Entwicklung der kinetischen Kunst von Marcel Duchamp bis hin zu Jean Tinguely und Alexander Calder können wir feststellen, dass diese Künstler schrittweise reale Bewegung in das Kunstwerk selbst einbrachten und versuchten, Form wie auch Farbe gegenüber der Bewegung in den Hintergrund treten zu lassen. Hätte man die Arbeiten und Experimente kinetischer Künstler aufmerksam studiert, wäre man wahrscheinlich zu der Erkenntnis gelangt, dass die Bewegung ein gesondertes Merkmal der visuellen Wahrnehmung bildet und über ein eigenes Areal in der Großhirnrinde verfügt, dessen Zellen vor allem durch Bewegungsreize aktiviert werden, nicht aber durch Farbe und Form.
    Solche Voraussagen (die man hätte machen können, aber nicht machte) werden heute durch physiologische Experimente bestätigt, die zeigen, dass es im visuellen Gehirn tatsächlich Areale gibt, die auf die visuelle Wahrnehmung von Bewegungen spezialisiert sind und auf Form oder Farbe nicht reagieren. Das heißt nicht, dass die Wissenschaft es sich erlauben sollte, ohne Experimente zu spekulieren, sondern lediglich, dass sie in den Künsten
wichtige Anregungen finden kann. Diese künstlerischen Beschäftigungen, allesamt Hervorbringungen des Gehirns, bieten fundamentale Einsichten wie auch Anregungen für Untersuchungen, die den strengen Anforderungen der Naturwissenschaften eher entsprechen.
    Ein weiteres Beispiel stammt aus der Erforschung einer äußerst überwältigenden Triebkraft - der romantischen Liebe. Über sie lassen sich zahlreiche Erkenntnisse gewinnen, wenn wir die Weltliteratur betrachten, die sich in allen Kulturen seit Platons Zeiten mit diesem Thema beschäftigt hat. Solch eine Studie lohnt sich für Neurobiologen, weil sie auf ein übergreifendes Verständnis von Liebe in allen Gesellschaften und Zeiten verweist. Das allein wäre für die Neurobiologie jedoch noch kein zureichender Grund für eine Erforschung der Liebesliteratur. Der Hauptgrund liegt in der Tatsache, dass solch eine Studie zu Konzepten führen könnte, die sich experimentell überprüfen lassen.
    Die Neuroästhetik ist eine relativ junge Disziplin, die sich das Ziel setzt, Erkenntnisse aus der Erforschung der Künste und der Geisteswissenschaften für die

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