Gehoere ich halt nicht dazu
nicht.“
„Richtig“, sagt der Mann und spendiert mir und dem anderen Mann an der Bar ein Glas Grüner Veltliner. Ich nehme noch einen doppelten Wodka dazu und spendi e re eine Runde für uns.
Der andere erzählt von seiner Arbeit im Nahen Osten. Wo er auf Montage war. Viel Sand hat er ges e hen. Viel Sand im Hirn ist geblieben. Mich interessiert das nicht. Er soll die Fresse halten. Ich schau mir mein Spiegel-Ich etwas genauer an. Die Augen. Den Mund. Die faltige Haut. Die Lippen. Dann habe ich so ein komisches G e fühl. Ein Gespür. Ich geh kurz aufs Klo um etwas von dem vielen Wein der Welt wieder zurückzugeben. Dann frag ich den Alten. „Hast du ein Bild von deiner Alt-Wien-Liebe?“
„Ja sicher, aber versteckt, damit es Mutti nicht sieht“, meint er. Und er nestelt aus einem Fach in der Geldtasche ein altes, vergilbtes Foto heraus. Und dann ist mir ganz ganz schlecht. Denn das Bild kenne ich auch. Es zeigt meine Mutter. In ju n gen Jahren.
Ich bin verwirrt. Zu viel Alkohol. Der komische Mann. Das Bild meiner Mutter. Hat sie mich die ganze Zeit angelogen. Hat sie mir einen berühmten Mann als Vater verkauft, obwohl mein Vater ganz jemand anderer war ? Warum macht sie so was? Diese blöde, blöde Mama! Ich könnte we i nen.
„Erzähl mir von deinen Kindern“, fordere ich mein G e genüber mit der brüchigsten Stimme der Welt auf.
„Haha!“, der ältere Mann lacht laut auf. „Was soll ich dir von meinen Kindern erzählen? Da gibt’s nichts Besond e res zu erzählen.“
„Warum nicht.“
„Es sind Kinder eben. Zwei Buben. Sie sind schnell groß g e worden. Und jetzt auch schon so 40 Jahre alt. Die brauchen mich nicht mehr. Und meine Enkeln interessi e ren sich nicht für mich. Prost.“
„Wolltest du deinen jüngsten Sohn denn nie kennen lernen?“, frage ich.
Ich werde angeschaut, so komisch sieht er mich an, der Alte. Es ist ein ernstes Gespräch zwischen zwei nicht mehr Zurec h nungsfähigen. Der Kellner schenkt nach. „Naja – anfänglich wollte ich ihn schon sehen“, antwortet der Mann. „Aber letz t lich war es mir egal. Ein Kind kostet doch nur Geld. Dann kommt erst was a nderes. Wenn überhaupt“, sagt mein offensichtlicher Vater mit einem wäs s rigen Blick ins Leere. „Und außerdem kenne ich ja immerhin die zwei Buben, die ich mit Mutti habe, ganz gut. Das sollte reichen.“ Er trinkt das Glas leer. „Mach mir kein schlechtes Gewissen. Hast du denn überhaupt Kinder?“ Mein Vater grinst und scheint dabei durch mich durch zu schauen.
Ich schwanke, obwohl ich nicht einmal halb so betrunken bin wie er. „Ich will dir kein schlechtes Gewissen machen. Aber was, wenn dich dein Sohn die ganze Zeit über suchen wü r de?“, frage ich.
„Seine Mutter wird ihm sagen, dass er mich hier findet. Und außerdem: Ich bin Schauspieler, ich steh im Tel e fonbuch“, antwortet mein Vater, „Jeder kann mich im Internet finden. Auch mein Sohn, wenn er wollte. Aber offenbar will er nicht. Aber mir ist das völlig egal. Er ist mir egal. Ich brauch nichts von ihm. “
Ich schaue meinem ...hm... “Vater“... jetzt tief und geheimnisvoll in die Augen. Tiefer, als ich das jemals bei einem and e ren Menschen gemacht habe. Tiefer als bei allen Frauen, die ich je haben wollte. Nur anders. Ich lege alle meine Kraft in diesen Blick. Mein Blick verlangt: Erkenne mich! Nimm mich und bewahre mich! Umarme mich! Wimmere um Verzeihung! Halt mich! Liebe mich! Jetzt und die ganzen Jahrzehnte davor. Mach schon! Was ist, du alter Trottel? Wichser. Tu was. Tu wenig s tens jetzt mal was. Versau nicht wieder alles, du Arsch.
Mein Vater scheint jetzt auch ganz tief in mich rein zu scha u en. Seine Augen blitzen auf , und er wirkt auf einmal um viele Jahre jünger und wendiger. Seine Mundwinkel gehen nach oben und mein Vater grinst. Seine Lippen formen sich zu e i ner Frage.
„Magst du noch ein Glas Wein?“, tönt es aus seinem Mund.
„Gern“, antworte ich nach einer kurzen Schrecksekunde.
Ich trinke einen großen Schluck, das Glas ist schon wi e der fast leer , und ich verfluche den Alkohol. Wäre ich nüchtern, könnte ich vielleicht klarer denken. Vielleicht ist das alles nur ein bl ö der Traum. Vielleicht ist der Alte, Kurt heißt er, wirklich mein Vater. Dann sollte ich ihn zur Rede stellen, mich outen. Vielleicht ist es ein Trick , und irgendwo gibt es eine versteckte Kamera. Vielleicht bin ich betrunken. Sicher bin ich betru n ken. Ich nehme noch einen Schluck.
„Wo stehst du denn auf der
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