Gehoere ich halt nicht dazu
Bühne“, frage ich.
Mein möglicher Vater erklärt, dass er früher einmal im Volk s theater mitgespielt hat.
„Und jetzt?“, möchte ich wissen.
„Jetzt ist Sendepause“, sagt er. Er blickt zu Boden. „Vor ein paar Monaten habe ich in einem Werbespot mitg e spielt. Soll ich dir was aus Shakespeare zitieren?“
„Nein danke, ich nehme lieber noch ein Glas Wein.“
Ich wünschte, mein Handy hätte Internet. Da könnte ich wie in einer Werbung jetzt aufs Klo gehen und schauen, was man unter Kurt Kuhbauer alles im Netz findet. Ob es stimmt, dass er Schauspieler ist und war. Ob er theor e tisch mein Vater sein könnte. Vielleicht fände ich dort die Antworten. Ich muss einmal das Schlafzimmer meiner Mutter aufräumen. Vielleicht hat sie Tagebuch g e schrieben - und vielleicht finde ich dort die Wahrheit. Aber das halte ich nicht für realistisch. Und in ihr Schlafzimmer hab ich mich seit der Sache mit den Me s sern nicht getraut. Das ist tabu.
Ich trinke wieder , und alles beginnt sich zu drehen. Ich kam, um einen Sohn zu zeugen und werde selber Sohn und Zeuge davon, wie es ist, einen Vater zu finden. So ein Scheißdreck. Ich beginne die Farben intensiver wah r zunehmen. Das Rot der Polsterung der Stühle. Das Schwarz der Tische. Das Goldgelb der Biere, die frisch gezapft werden. Das Grün des Pull o vers von Kurt. Die braunen Flecken am Putzfetzen, mit dem der Kellner die Bar sauber wischt. Dann sehe ich Jolanda durch die we i ße Tür kommen. Sie sieht aus wie ein Engel. Sie leuchtet und scheint zu schweben. Sie ist schön. Sie hat ein vi o lettes Kleid an. Ihre Augen sind blau. Und mir wird schwarz vor den Augen.
Mein vorletzter Tag, Sonntag
Dem Dunkel folgt wieder Licht. Weiß ist es um mich. Weiße Wände, weiße Betten, weißes Licht. Es riecht steril. Ich versuche zu denken. Mein Kopf tut weh. Ich versuche mich zu eri n nern. Wo bin ich? Ich blicke mich um. Es könnte ein Krankenhaus sein. Wer bin ich? Mir fällt mein Name ein. Und meine Mission. Dass ich bald ste r ben will. Oder bin ich schon tot? Es scheint nicht so. Ich weiß nicht, ob Sonntag oder Montag ist, ob ich heute sterbe oder morgen, aber es ist mir im Moment egal. Ich habe keine Ahnung wie spät es ist. Mir fällt keine G e schichte ein und keine Geschäftsidee. Ich bin völlig leer.
Frederick fällt mir ein. Dann das violette Kleid von Jola n da. Ich hoffe, ich habe es nicht angekotzt. Jolanda und Frederick wären wahrscheinlich ein nettes Paar, denke ich dann. Sie sollten in Griechenland Urlaub machen. Und eine Katze als Hau s tier haben, nicht eine Schlange. Ich hätte gerne Eier mit Speck und ein Glas Bier. Und vielleicht ein Gulasch. Was ist wirklich?
Eine Schwester kommt. Ich bin also wirklich in einem Kra n kenhaus. Und jetzt dämmert mir, dass ich in jenem Kranke n haus bin, in dem meine Mutter dahinvegetiert. Sie liegt wohl ein paar Stockwerke über mir. Das gibt mir einen durch den ganzen Körper dringenden Stich. Ich kann nicht scharf sehen, alles flimmert um mich. Ich will scharf stellen, aber es klappt nicht. Scheiße. Ich kann nicht mal erkennen, wie die Schwester, die sich jetzt direkt und fast bedrohlich vor mir aufgebaut hat, au s sieht.
„Und wie geht’s uns?“, fragt die Schwester. Wie ich di e ses völlig vertrottelte, vereinnahmende „uns“ hasse. Wir sind Papst, schießt es mir durch den Kopf. Aber ich bin brav, pr o testiere nicht.
„Komasaufen ist doch nicht ausschließlich ein Problem von Kindern“, sage ich.
Sie lächelt. „Wir haben Ihnen den Magen ausgepumpt“, sagt die Schwester. „Kein schöner Anblick. Aber jetzt wirken sie schon mehr wie ein Mensch. Ich brauche Ihre E-Card , bitte!“
Mir ist alles egal, alles recht. Ich fühle mich wattiert, in Da u nenfedern gehüllt, in weiße, weiche Wolle eing e packt. Die Welt federt an mir ab. Ich habe Durst. Ich bin froh, dass ich meine Geldbörse nicht verloren habe. So kann ich zumindest meine Versicherungsdaten bekannt geben. Mir ekelt vor meinem Gewand. Es stinkt nach Rauch, Wein, Bier und mir. Ich würde gerne Zähne pu t zen und lange duschen.
Ich will in dieser weißen, weichen Welt bleiben, und gleichze i tig sofort hier raus. Ich schmutziger Mensch passe hier nicht her. Ich gehöre hier nicht dazu. Ich weiß nicht, was ich will.
Neben mir ächzt ein Mann. Er erinnert mich an Kurt, aber er ist es nicht.
Ich spiele mit dem Gedanken, die Familie zusammenz u führen: Kurt soll meine Mutter treffen. Damit er nicht mehr im Alt Wien
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