Gehoere ich halt nicht dazu
sinnlos auf sie wartet. Aber gibt es Kurt wirklich? Oder war er nur meine Phantasie? Ich mag nicht raus in die Kälte. Aber hier im überheizten Kra n kenhaus mag ich auch nicht bleiben. Ich weiß nicht, was ich mag. Es ist mir zu heiß und zu kalt.
Ich habe zu viele schlechte Filme gesehen. Ich sehe schon eine Kitsch-Variante von dem, was passiert, wenn Kurt zu meiner Mutter kommt. Ja, sie ist seine große Liebe. Er weint, seine Tränen tropfen auf ihre Brust und wecken sie aus dem Koma, sie öffnet ihre Augen, lächelt und beginnt wieder zu leben, ein Wunder, ein Wunder, singen die Schwestern schunkelnd im Hintergrund, me i ne Mutter nimmt meine linke Hand, mein Vater die a n dere, dann singen wir gemeinsam, leise und wunderschön: „We are family“. Mein Herz ze r springt vor lauter Glück - und daran sterbe ich. Friedlich und unauffällig. Mir wird wieder schlecht. Vielleicht sollte ich ein Musical schreiben.
Ein Arzt untersucht mich, ich werde entlassen. Davor darf ich mir noch einen kurzen Vortrag über die verhe e rende Wirkung von Medikamenten und Alkohol anhören. Und man fragt mich, ob ich Hilfe benötige. Ich schüttle den Kopf. Idioten. Ich bekomme vier Zettel in die Hand, darf auschecken. Und ch e cke nichts.
Draußen, vor dem Krankenhaus, ist die Luft frisch und eisig kalt. Es regnet. Ich suche mein Auto, dann fällt mir ein, dass ich nicht selbst ins Krankenhaus gefahren bin. Ich habe immer noch Riesendurst und sehe die Rettung in Form eines Wirt s hauses. Es ist elf Uhr vormittags. Ich zögere ein bisschen, ob ich wirklich um diese Uhrzeit schon ein Bier bestellen soll. Aber dann mach ich es. Ist ja eh alles egal. Während ich auf das Bier warte, piepst mein Handy. Jolanda hat mir eine SMS geschickt.
Ich öffne die Nachricht: „Ich hoffe, du bist wieder okay. Ich will nicht, dass du dich umbringst. Ich liebe dich. J o landa“
Ich rufe sofort Jolanda an.
„Spinnst du? Wie kommst du auf die Idee, dass ich mich u m bringen will?“, herrsche ich Jolanda an. Noch mehr regt mich auf, dass sie ich liebe dich geschrieben hat. Jolanda sagt nichts.
„Ich kann tun und lassen, was ich will“, schreie ich ins Telefon. „Niemand wird mich abhalten das zu tun, was ich will. Auch du nicht. Und auch nicht dein beschissenes, vertrotteltes Li e besgeschwafel. Und erst recht nicht dein bescheuerter, kle i ner Fratz. Ich alleine entscheide über mein Leben! Kein and e rer Mensch, nicht du, nicht Florian und auch nicht Gott. Ich ganz allein. Ich. Ich. Ich. Mein Leben. Mein Tod. Meins! Ve r schwinde endlich!“
Die anderen Menschen im Wirtshaus sind verstummt und tun so, als hätten sie nichts gehört. Es ist jetzt sehr still im Gas t zimmer. Nur die Kaffeemaschine zischt.
Jolanda weint am Telefon, während sie ganz leise sagt: „Ich will nicht, dass du dich mit Alkohol umbringst. Ich hatte solche Angst, als du gestern zusammengebrochen bist. Ich dac h te, du wärst tot. Du bist mir wichtig.“
Ich atme tief durch. Ich nippe am Bier. Ich schaue auf die ve r stummten Menschen, die noch immer so tun, als hätten sie kein Wort gehört.
„Verzeih“, sag ich leise ins Telefon.
„Schon okay“, sagt Jolanda.
Ich lege auf.
Nein. Nein. Nein. Ich werde mich nicht von meinem Plan abhalten lassen. In meinem Kopf herrscht Party. Sehr ausgelassen sind meine Gedanken jetzt. Sie haben etwas altmod i sche, aber doch flippige Sachen angezogen. Und sie feiern. Und sie feiern ziemlich unstrukturiert. Von mir aus.
Aber nach diesem Fest der Gedanken ist eines sich er: Ich werde morgen sterben. So wie ich es wol l te. Oder will. Will ich noch? Sicher will ich noch. Warum denn auch nicht? Ich zähle noch einmal die Tage. Dann denk ich mir, auch egal.
Ich sehe mich jetzt gerade als Selbstmordattentäter. Politisch motiviert natürlich. Mit einem Spren g stoffgürtel um die Hüfte. Abenteuerlich sieht das aus. Ganz kurz bin ich stolz auf mich. Aber für we l che Sache will ich eigentlich sterben? Ich habe mich doch noch nie im Leben für irgendeine Sache e n gagiert. Das wäre selbst vor mir selbst unglaubwürdig. Ich habe keine politischen Motive und erst recht keine religiösen. Wenn ich mich wirklich umbringen sollte, dann aus purem Egoismus. Aus Angst. Aus Enttäuschung. Aus gekränkter Li e be. Aus Feigheit. Aus Langeweile.
Ich überlege einen Moment es gleich hier zu tun. So ein ödes, durchschnittliches Wirtshaus wäre gar nicht so schlecht für den Tod eines öden, durchschnittlichen Typen. Doch erneut tritt
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