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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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noch leeren Tische.
    Er schwitzte und wirkte gehetzt. Er zückte eine blaue Schachtel und rauchte. Ich sah ihn an, diesen schweren, kräftigen Mann, der, leicht rotgesichtig, an diesem Morgen eine Unruhe in die Trägheit der Straße brachte, die mich von meiner Zeitung ablenkte.
    Ich begriff, dass ich ihn kannte. War das nicht der Mann mit dem seltsamen schwarzweißen Mantel und der schwarzweißen Schiebermütze, den ich in einem Winter auf der Schönhauser Allee gesehen hatte und dem ich gefolgt war, aus einer Laune, einem Impuls heraus durch die Münzstraße und Rosenthaler Straße über den Rosenthaler Platz, bis ich ihn auf der Schönhauser Allee wieder aus den Augen verlor? Der Mann, den ich kannte wie einen Bruder, mit dem ich nicht aufgewachsen war, den ich kannte wie mich selbst, und wer könnte am Ende schon sagen, er habe sich gekannt? Ahnte er auch um mich wie ich um ihn?
    Er ist anders, als ich ihn mir vorgestellt habe. Er ist magerer, als ich glaubte. Vielleicht hat er etwas abgenommen.
    Ich sah die Narbe auf seiner Stirn, die seine rechte buschige Braue durchschnitt. An seiner Hand trug er einen großen silbernen Ring, auf dem ein Boxhandschuh einen Springer umfasst. Er nahm seine Sonnenbrille ab. Seine Augen. Sie hatten keine Farbe.
    Er setzte sich, rauchte, da klingelte sein Telefon. Er kramte es aus der Tasche, sagte etwas, legte es auf den Tisch und rief die Kellnerin, da sprach ihn ein Mann an, der an seinem Nebentisch vor einem Computer und einem Glas Milchkaffee saß. Der Mann trug trotz der Hitze einen schwarzen Anzug und hatte einen gelben, spitz aufgerichteten Irokesenschnitt. Die beiden unterhielten sich eine Zeit lang. Der Mann, den ich kannte, schien mich nicht zu bemerken. Seine Stimme ist mir fremd und vertraut zugleich. Hell, sanft, fast ängstlich. Sie scheint etwas verzerrt, als käme sie von einem Band. Und da ist diese Bewegung: Unablässig wippt eines seiner Beine, ein Fuß, trommeln seine Finger auf dem Tisch. Als müsse sein Körper eine unbändige Energie nach außen abführen.
    Ich nahm meine Zeitung auf und blätterte darin. Da tauchte ein junges Mädchen auf. Sie trug einen Pferdeschwanz. Sie war sehr hübsch. Auf ihrem Rücken hatte sie eine Tasche. Sie schloss ihr Fahrrad an einen Baum, es war eines dieser kleinen alten DDR-Klappräder, und setzte sich an seinen Tisch. Die beiden waren sehr schnell in ein inniges Gespräch vertieft. Nach einer Weile zog sie einen Laptop aus ihrer Tasche. Sie rückte ihren Stuhl um den Tisch und setzte sich in seine Nähe. Er wirkte traurig, dieser Berg von einem Mann, verloren ein wenig, vielleicht.
    Sie sahen sich auf dem Bildschirm gemeinsam etwas an.
    Eine Weile redeten sie wieder, dann stand er auf. In diesem Moment stand auch das Mädchen auf und lief ins Café. Als sie wiederkam, umarmte sie ihn.
    Ich wollte aufstehen und zu ihm hinübergehen. Ich wollte zu ihm gehen und mit ihm sprechen, ihm sagen … ich stand auf, zögerte, vielleicht einen Moment zu lange, ihm sagen … stand auf und wollte zu ihm gehen, da hatte er sich bereits von dem Mann mit dem Irokesen verabschiedet, umgedreht und lief die Fehrbelliner Straße hinab in Richtung des Teutoburger Platzes.
    Ich setzte mich.
    Vielleicht treffe ich ihn wieder. Ich möchte ihm zuhören. Ich hätte ihm einiges zu sagen. Na, man sieht sich, aber das sagte ich ja bereits, immer mehrmals im Leben.

GLEICH WUT?

Viermal 77,50 Meter Robinien, Birken, Ebereschen. Thomas Frantz lief die Fehrbelliner Straße am Teutoburger Platz entlang. Viermal 77,50 Meter Gesichter, Menschen, Sträucher. Am Stadtteilzentrum bog er in den Park. Am Eingang stand ein kleines Schild auf einem Pfosten. Gehwegschäden. Es war der heißeste Tag des Jahres.
    Viermal 77,50 Meter Sonne, Wiese, Sand.
    Thomas nahm den Weg quer durch den Park. Die Hitze stand wie eine Wand vor ihm. Die Mütter, Väter spielten mit ihren Produkten im Sand. In der glühenden Luft flimmerten sie vor seinen Augen. Er nahm eine Stimme in seinem Rücken wahr, sie stach aus allen anderen Stimmen hervor. Die Sonne blendete ihn. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Es war eine hohe, keifende Stimme. Die Stimme mochte einem Kind gelten oder einem Hund. Salzige Tropfen bissen in seinen Augen.
    Er spürte die Stimme in seinem Rücken, diese hohe, das Kind oder den Hund schlagende Stimme, Thomas ballte die Faust. Die Adern an seinen Schläfen klopften. Er konzentrierte alle Kraft, die er hatte, in Finger und Daumen seiner rechten Hand.
    Er

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