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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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nicht aus Lehm. Er ist Glasfaser und serielle Schnittstellen, drahtlos zu empfangen. Sandra sagte, sie habe heute Früchte gefrühstückt. Null und Eins. Was sagen und nichts sagen. Röhren, Dioden, Relais, Thomas drückte seine Zigarette aus. Alle Optionen offenhalten. Wie Flöhe springen von einem Kopf zum andern, wie Bienen Nektar saugen aus tausend toten Blumen. Sandra lächelte. Thomas steckte sich eine neue Zigarette an und glaubte plötzlich, sie zu verstehen. Alle Optionen offenhalten hieß: überleben. Maximum multiple choice hieß: leben im total vernetzten Darwinismus. So geht das. Erst am Ende der Diodenkette saßen sich zwei Menschen gegenüber und hielten die Welt an. Der eine kaute Salat, der andere guckte in die Röhre. Eins zu null. Sie hatte 167 Freunde, und sie wollte keinen Freund. Unsinn. Arschficken gegen Armut. Die Axt rausholen, das sollte man mal zum Bürgerbegehren machen. Der Teufel ist die Vagheit, Betrüger und Nichtssager, das sind wir geworden! 23 Mal darf die Gerechtigkeit kommen, so ist das! Kriegsjungs vögeln mit Gleitcreme, statt Platanen zu pflanzen, so ist das! Lernt doch endlich U-Bahn fahren, ihr Nullen! Werbung schalten und Freunde verbrennen, verbrennen, verbrennen …
    »Es ist wirklich warm heute«, stöhnte Sandra, nahm die Serviette auf und betupfte ihre Lippen.
    Thomas atmete tief. Sandra blies sich eine Strähne aus der Stirn. Er richtete sich auf und suchte nach einem klaren Gedanken.
    Sandra lächelte.
    Unser Denkfehler war, wollte er ihr sagen, dass wir geglaubt haben. Thomas stürzte den letzten Schluck Kaffee hinunter. An das Wissen geglaubt. Ihm war immer noch heiß. Wir haben gedacht, Bildung macht bessere Menschen aus uns, wie die gute Erzieherin. Wir haben geglaubt, Wissen bringt uns ein besseres Leben, wir werden 167 Freunde finden und der Welt das Licht enthüllen, das ist der Fehler. Thomas wischte sich den Mund ab und schwieg. Vielleicht würde er seinen Sales pitch beim nächsten Pecha Kucha anbringen. Als ein Agent der Idiotie unserer Zeit. Thomas schloss die Augen. Er presste Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand an die Lider und verwarf auch diese Idee im nächsten Moment. Er stand auf. Die Sonne brannte in sein Gesicht.
    Thomas wollte hineingehen und zahlen, aber Sandra kam ihm zuvor. Sie überholte ihn hopserlaufend.
    »Das ist das Mindeste, das ich dir schulde«, sagte sie im Vorbeihüpfen. Ihr Pferdeschwanz federte. Sie landete am Tresen, bevor er nur die Geldbörse zücken konnte.
    Sandra strahlte, als sie zurückkam.
    Du bist ein Stück Scheiße, ein Lippenstift, ein Unterhosenlabel. So ist das.
    Der Mann mit dem gelben Irokesen, der in seinen Bildschirm vertieft war und etwas schrieb, lächelte.
    »Herzallerliebst, deine Freundin.«
    Sandra errötete.
    Thomas verabschiedete sich von Sandra. Sie umarmten sich, Thomas strich sanft über ihren Kopf und zaghaft ihren Rücken entlang. Sandra hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange. Der Schlag kommt aus der Tiefe. Ihr Haar roch nach Pfirsich. Und sei gewiss, für ein paar stinkende Küsse, wie meine Worte Atem sind, wenn die Komponenten aufs Genaueste zusammenwirken. Er verabschiedete sich von Jascha und verließ das Café in Richtung des Teutoburger Platzes.

36. Du bist eine binäre Lösung. Du bist nicht ich
    Ich saß in einem Café in der Nähe des Teutoburger Platzes. Es war heiß, und später hieß es in den Nachrichten, es sei der heißeste Tag des Jahres gewesen.
    Ich hatte es nicht mehr ausgehalten in meiner Dachwohnung, das Thermometer zeigte schon am Morgen 32 Grad. Ich trank heißen Tee aus frischer Pfefferminze und ein großes Glas kaltes Wasser. Ich las eine Zeitung, die mir ein Mann verkauft hatte, der eine große rote Tasche wie eine Kugel vor seinem Bauch herschob und fühlerartig abstehende Ohren hatte, was ihm das Aussehen eines Mistkäfers verlieh. Auf der Lokalseite verstörte mich eine Meldung: »Die Polizei hat gestern einen erst siebenjährigen Räuber gestellt. Der Junge hatte eine Joggerin angehalten, auf sie eingeschlagen und die am Boden Liegende getreten. Dann entriss er ihr das Handy. Als ihn die Joggerin festhalten wollte, trat er wieder auf sie ein und verletzte sie schwer. Passanten konnten den Siebenjährigen schließlich überwältigen und riefen die Polizei. Die Joggerin musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Die Polizei führte ein erzieherisches Gespräch mit dem Kind.«
    Ich wollte umblättern, da setzte sich in einiger Entfernung ein Mann an einen der

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