Gehwegschäden
bis zum Hals, die Frau. Fährt mit Stöckelschuhen im Cherokee Overland zum Einkaufen. Sehr geil. In Zehlendorf muss man ja unbedingt einen Cherokee haben, da kommst du ohne Allradantrieb mit 280 PS nicht weit. Aber was soll’s. Diese Beine, sag ich dir. Entschädigt den Mann für alles. Selbst für ihre Platinum Master Card.«
Shandor lachte. Es war ein kurzes, dreckiges Lachen am anderen Ende der Leitung, das Frantz seit der neunten Klasse kannte.
»Aber lass mal sehen. Mann, der Kalender ist echt voll. Hängt hier in der Küche, weißt du? Unser Gesellschaftskalender. Also nächste Woche kann ich gar nicht. Da bin ich jeden Abend ausgebucht. Dienstag sind wir bei Björn und Lisa, da gibt’s guten Champagner und Lachs in der Salzkruste, richtig lecker. Mittwoch hab ich Stammtisch. Donnerstag Mittagstisch, da läuten wir das Wochenende ein, und das geht meistens bis abends. Dann hat meine Frau Girlie-Treffen. Wochenende ist sowieso verplant. Samstag Jack und Paula, Sonntag dieser blöde Rechtsanwalt mit seiner Frau, das ist vielleicht ein Arsch. Der liegt dann mit weißen Socken in meiner Le-Corbusier-Liege und erzählt mir, was er fürn toller Hecht ist mit seiner blöden Yacht. Weiß ich jetzt schon. Mit weißen Socken? Das halt ich nicht aus. Da hau ich ab ins Roseneck und zieh mir was rauf. Und wenn ich wiederkomm und er dann noch da ist, hau ich ihm auf die Fresse. Die Woche drauf ist auch schlecht. Hier aber. Dienstag. Also nicht der kommende, auch nicht der danach, Dienstag in drei Wochen. Am Mittwoch fliegen wir nämlich in Urlaub. Türkei. Super Apartment direkt am Marmarameer. Warn wir schon mal mit Jack und Paula. Lass ich mir jeden Abend ’ne Dorade auf’n Grill legen, zwei Pullen eisgekühlter Gavi di Gavi dazu, und alles wird gut.«
Shandor lachte.
»Also, Dienstag? Dann wie gehabt zu Mittag im Weihenstephaner? Mann, hatt ich echt nicht mehr auf’m Schirm, unsere Verabredung.«
Shandor hängte ein.
Im Grunde war er ihm nicht einmal böse. Thomas Frantz konnte das abklingende Interesse an seiner Person durchaus verstehen. Wer unter seinen alten wohlhabenden Freunden wollte schon mit einem zunehmend verarmenden Menschen zu tun haben? Es sei denn, er wollte ihn zum Essen einladen, um sich gütig und überlegen zu fühlen? Aber wer mochte sich schon einem Freund gegenüber gütig fühlen? Würde man für diesen situativen Hochgenuss nicht lieber einen Unbekannten, einen Dahergespülten erwählen, den man wieder vergessen konnte? Und wer, bitte, mochte in diesen Zeiten überhaupt noch geben, und sei es nur ein Essen?
Quer gedacht: Würden sich seine erfolgreichen Freunde weiterhin wie früher, zu seligeren Zeiten, mit ihm treffen, essen, lachen, trinken, reden, Karten spielen – wer könnte es ihnen verdenken, Unbehagen dabei zu empfinden?
Nein, Thomas Frantz hatte Verständnis für ihre Lage. Sie hatten zu tun. Sie waren beschäftigt. Cordula und Dietmar (Werbung), Brigitte und Gerhard (Kanzlei) wie Rochus und Sabina (Architektur), sie waren ja alle eine GmbH und trugen Verantwortung. Sie mussten sich ihre gesellschaftliche Zeit genau einteilen. Er dagegen, die kreative Ich-AG, hatte ja immer Zeit. Er schrieb sich diesen misslichen Umstand vielmehr selbst zu, ganz wie das Kind die Welt auf sich bezieht, weil es keinen anderen Maßstab kennt als das eigene Unvermögen. Mama trinkt, weil ich böse bin. Papa gibt mich zur Adoption frei, weil er mich nicht mag. So was. Thomas Frantz ist unattraktiv, weil er arm ist.
Daran trägt er allein.
Und die Sache würde sich ja schlagartig ändern, wenn er wieder zu Geld oder Ruhm käme, Freundschaft ist wie ein Gummiband, es dehnt sich und dehnt, aber mal zieht es sich auch wieder zusammen, und es reißt nicht.
So was.
Aber selbst Frantz war nicht so glücklich bei dem Gedanken, seine wohlhabenden Freunde zu treffen. Eigentlich empfand er keinen Neid. Er gönnte ihnen den Erfolg, den Wohlstand und die Wagen, die Häuser und den Urlaub. Er freute sich für sie. Aber im Angesicht des Erfolgs seiner wohlhabenden Freunde empfand er seinen eigenen Misserfolg, sein Scheitern umso schmerzlicher. Solange er sich unter besitzlosen Tagelöhnern befand, und die Stadt und die Kneipen waren ja voll davon, fiel es ihm nicht schwer, selbst ein besitzloser Tagelöhner zu sein. In diesem Kokon fühlte er sich sicher. Zumindest nicht unzufrieden. Aber wenn er vor Augen geführt bekam, was man alles erreichen konnte, wäre man ein anderer gewesen, hätte man nur anders
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