Gehwegschäden
konnten, war aber aufgrund seiner physischen Konstitution, schulischen Leistungen und der Art seines Auftretens in der Regel von der Protektion durch andere abhängig gewesen. Zitronengelbe Lacoste-Pullunder mit V-Ausschnitt, Kaschmirschals und Hirschlederhandschuhe zählten nicht zu den begehrten Accessoires, ein Walkman von Sony und das nötige Kleingeld für ein Uriah-Heep-Konzert in München aber schon. Shandor arrangierte sich dergestalt mit den anderen Schülern. So hatte auch seine Freundschaft zu Frantz damals ihren Anfang genommen, auch wenn Frantz gar nicht von ihm profitieren wollte, sondern in ihm einfach nur eine verwandte verletzte Seele sah. Nach dem Abitur trennten sich ihre Wege.
Shandor hatte, soweit es Frantz wusste, in München ein Studium der Rechtswissenschaften begonnen und eine beachtliche Drogenkarriere hingelegt. Er war stets in Münchner Cliquen organisiert gewesen, die sich um andere Söhne und Töchter wohlhabender Münchner Fabrikanten, Gastronomen, Rechtsanwälte und Zahnärzte gruppierten, und eines Tages war er nach Berlin gezogen. An diesem Abend hatte Shandor ein Sakko von menstrualem Rosa zu einer Bundfaltenhose mit grünem Krokoleder getragen, ein wallendes weißes Hemd und einen blasslila Tüllschal, was der habichthaften Gestalt mit dem kahlen Kopf und einer monströsen Sonnenbrille etwas von einem überarbeiteten Hollywood-Regisseur verlieh. Er hatte Dünnbier, Champagner und abgezählte Lammwürstchen vom Grill gereicht, und als es später wurde, echauffierte Shandor sich im Kreise seiner Freunde darüber, dass er seinen Lamborghini Diablo VT Roadster nicht mehr zu Mittag in der Nähe des Restaurants Adnan in Charlottenburg parken könne, wo sich um diese Zeit Menschen wie er aufhielten, weil er Angst haben müsse, dass der Lack zerkratzt werde. Dagegen sei in italienischen Dörfern schon mal spontan Beifall gegeben worden, wenn er im Urlaub dort angehalten hatte, um sich in einer Gelateria ein Eis zu holen.
Er riss sich die Sonnenbrille, auf deren Bügeln in breiten goldenen Buchstaben das Wort Gucci zu lesen war, vom Kopf und sagte: Mensch, ich hab’s satt. Lasst uns doch Bonzen-City bauen. BC. Ich meine, wir haben hier alles. Kindergärten, Schulen, Einkaufszentren. Wir ziehen ’ne Mauer um Dahlem und Zehlendorf, ein paar Schlagbäume, und die Privatarmee zahlen wir aus der Portokasse. Jeder kriegt ’n Mikrochip implantiert, damit sich der Schlagbaum hebt, wenn ich doch mal rausmuss, und ihr kriegt von mir Besucherausweise. Die da draußen können von mir aus weiter von unsern Steuern leben, und wir haben hier unsere Ruhe. Was schert mich der asselige Rest der Welt? Man hatte viel gelacht, an diesem Abend.
Thomas Frantz fiel die alte Geschichte wieder ein, und er dachte: Ja, war es nicht besser so? Ändere, was du in dir selbst ändern kannst, und akzeptiere, was du nicht ändern kannst. Darin waren sich doch alle einig. Religionstiroler wie Positivdenker, Esoteriker und Anonyme Alkoholiker. So was. Thomas Frantz sah Shandor jetzt mit anderen Augen. Der Mann war ein Visionär.
Gehwegschäden
Durch die flächendeckende, geschwindigkeitsbegrenzte und gemeinnützige Begehung der Straßen seitens des Begehers soll gewährleistet sein, dass Gehwegschäden möglichst schnell erkannt werden. Es erfolgt auf jede Begehung, soweit noch nicht vorhanden, eine entsprechende Markierung, das heißt die Anbringung eines Hinweisschildes respektive Zusatzzeichens Gehwegschäden, Straßenschäden, Radwegschäden oder Geh- und Radwegschäden in Unterkante zwei Meter.
Die Route des Begehers ist festgelegt im Begehungsplan der Behörde. Die Beobachtungen und Auswertungen des Begehers werden handschriftlich festgehalten im Begehungsbuch. Die Begehungsbücher beinhalten genaue Protokolle der erfolgten Begehungen. Darin enthalten sind festgestellte, gesichtete und untersuchte Schäden sowie Berichte über etwaige und vorübergehende Sondernutzungen wie Baustellen, Kanal- oder Rohrarbeiten.
Das Begehungsbuch ist eine juristische Grundlage der Behörde. Es wird bei Rechtsstreiten vor Gericht genutzt. »Das Begehungsbuch ist«, wie es ein Mitarbeiter der Behörde formuliert, »die Nachweisbibel vor Gericht«, denn immer öfter versuchen Versicherer wie private und öffentliche Kassen, aber auch Anwälte die Kosten für gebrochene Schlüsselbeine, Beine, Arme, Ellen, Mittelhandknochen und Oberschenkelhälse sowie quasi am laufenden Meter gerissene Sehnen und Kreuzbänder von den Behörden der
Weitere Kostenlose Bücher