Gehwegschäden
gibt so Leute, wenn die Jungs wollen, dann suchen die sich Jungs, die anschaffen gehen. Wie Prostituierte. Was? Wie Prostituierte? Aber das geht doch gar nicht! Wie soll das gehen?«
Seko sitzt stocksteif auf der Hollywoodschaukel. Frantz, der auf seinem Hockelement ein wenig gekrümmt ist, sieht zu ihm auf. Seko schüttelt den Kopf.
»Ich weiß nicht. Ich hab zuerst noch am Anfang gedacht, vielleicht der Pole ist es. Nee, nee, sagten die Kollegen, es ist auch der große Araber. Der Bosnier, der Bulgare. Was?«
Seko sieht Frantz entsetzt an und atmet lange aus. Die Hollywoodschaukel quietscht. Frantz hat völlig vergessen, etwas zu notieren. Seko atmet wieder ein.
»Äh, das war dann so, wo ich zuerst mal schlucken musste: Sag mal, wie weit geht die Sozialarbeit? Wo sind eigentlich die Grenzen für mich? Und wo gibt es für mich jetzt so Phasen zu sagen: Junge, das geht nun überhaupt gar nicht? Will ich das unterstützen?«
Frantz versteht nicht.
»Was heißt unterstützen? Wie meinst du das?«
Seko hält seiner Tochter die Ohren zu und spricht leiser.
»Mit unterstützen meine ich, die Jungs haben mir ja was bedeutet. Ich wollte ihnen helfen. Auch mein Bild damals war in dem Alter, ich war ja nicht viel älter als die Älteren unter den Jugendlichen, so, ja, Mann zu sein bedeutet, cool zu sein, ja, und schwul geht gar nicht. Das geht gar nicht. Und dann auch noch Geld dafür kriegen? Das geht überhaupt nicht. Und wenn ich dann sage, ich arbeite für die, dann heißt das ja, dass ich das auch noch unterstütze.«
Frantz hat seinen Kugelschreiber beiseite- und sein Kinn in die Hand gelegt, wie es Psychologen in einer therapeutischen Gesprächssituation manchmal tun.
»Du hättest versuchen können, mit ihnen zu reden«, sagt Frantz mit weicher Stimme.
»So. Das ist der zweite Weg. Das geht aber auch nicht. Das war so – man spricht darüber nicht. Deswegen habe ich mich sehr viel auseinandergesetzt. Ich hab gesagt: Ich glaub’s nicht. Und dann dachte ich: Okay, du gehst da mal hin, in eine Sitzung. Da gibt es am Nollendorfplatz so einen selbsternannten Sozialverein, die kümmern sich um Jugendliche, die anschaffen gehen. Da bin ich hin. Da kam ein aufgeplusterter Sozialarbeiter, auch so ’n Schwuler, ähm, zu dem ich am Anfang überhaupt keine Sympathien aufbauen konnte. Der auch wirklich sehr komisch war.«
In diesem Moment klingelt Sekos Handy. Seko spricht Türkisch, es klingt, als würge er das Gespräch ab. Frantz schmerzt der Ellenbogen. Er nimmt ihn von der Lehne und bemerkt, dass sich die Struktur des Polyrattan in die Haut gezeichnet hat. Seko legt das Handy weg. Er bringt seine Tochter ins Wohnzimmer und setzt sich. Die Hollywoodschaukel quietscht.
»Und dann war’s halt so, dass ich an Sitzungen teilgenommen und gesagt habe, so, jetzt sagt mir mal ganz genau, wer kommt denn alles hierher? Doch nicht meine Jugendlichen? Oder? Dann haben sie mir so ein paar Namen genannt. Was? Der? Und der auch? Was, und der? Und die Sudanesen auch? Und der kleine Mazedonier? Und dann war ich irgendwie am Boden. Weil ich gedacht habe: Es sind nur ein paar. Aber da habe ich gesehen: Es ist fast die gesamte Gang.«
Seko fasst sich mit beiden Händen an den Kopf.
Liebe Leute vom Teute: Reißen Sie sich auch die Haare aus? Kratzen Sie sich unentwegt? Müssen Sie sich ständig die Hände waschen?, fragt der Guckkasten am Teutoburger Platz. Das passiert vielen! Haben Sie keine Scheu! Kommen Sie zu mir. Angeleitete Arbeitsgruppe Zwangsstörung jeden Dienstag 20.00–21.30 Uhr im Besprechungsraum, Dieter, sagt der Guckkasten am Teutoburger Platz. Burn Out? Perspektivlosigkeit? Beziehungsmüde? Kommen Sie zu uns: Heide und Michael, Tiefenpsychologin und Personal Coach, sind ein eingespieltes Team. Jeden Mittwoch 21.00 Uhr. Für alle, die gern hüpfen: Gruppe ethnischer Volkstanz Latein- und Mittelamerikas, Mittwoch 18.30 Uhr. Zur Trauergruppe: Montag 18.00 Uhr, Besprechungsraum. Treffen Mehrlings- und Invitroeltern aufgrund starker Nachfrage jetzt auch Montag 21.00 Uhr (regulär Freitag 21.00 Uhr). African Drumming, Dienstag 18.00 Uhr, Robert Mbwale und DJ Baba, sagt der Guckkasten.
Frantz reibt sich den Ellenbogen. Seko holt Luft und streicht sich übers Haar.
»Und das war vielleicht der Punkt, wieso ich nicht aufgehört habe. Ich hatte viel Hoffnung in diesen sozialen Träger am Nollendorfplatz gesetzt. Dass die meine Jugendlichen schützen und sie da rausholen. Ich meine, da gibt es welche, die sind noch
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