Gehwegschäden
nachzulesen in meinem Beitrag: »Doch schneller als die Polizei behauptet? Über die Aussagekraft der polizeilichen Messungen am Teutoburger Platz«, erschienen in: AKL (Fachzeitschrift für Alternative Kommunalpolitische Lösungsvorschläge), 12, S. 18–43.
Seko lehnt sich zurück. Die Hollywoodschaukel quietscht.
»Die Zielgruppe ist vielleicht wichtig. Es handelt sich um Jugendliche, insgesamt vielleicht zwischen vierzig und sechzig – jetzt musst du aber ruhig sein, Amina –, die sich in diesem Gebiet aufhielten, aber alle bei ihren Eltern in verschiedenen Kiezen lebten. In Wedding und Kreuzberg. Es waren teilweise Kinder aus Balkanländern, Bosnier, Kosovo-Albaner, Kurden. Aber auch Araber, Bulgaren, Rumänen, Polen, Afrikaner. Manche lebten mit der Familie in Asylbewerberheimen. Sie hielten sich aber alle dort auf, weil ihnen der Teutoburger Platz irgendwie gefiel und weil er zwischen Kreuzberg und Wedding lag. Auch Mädchen. Die waren schon präsent, auffällig, meine ich. Eine Gang, die auch Leute abgezogen hat. Stress gemacht hat. Die durchaus auch, wie soll ich sagen, eben auffallend waren, so nennen wir das. Schwer integrierbar in soziale Einrichtungen. Sie haben Sachen zerstört, Wände beschmiert.«
Frantz schmerzt der Rücken. Er erinnert sich, dass er gelegentlich hier oder da ein Trüppchen Jugendlicher auf dem Teutoburger Platz wahrgenommen, ihnen aber keine weitere Beachtung geschenkt hatte. Sie fläzten meist um die Holztische in den römisch überdachten Buchten, tranken Bier, kifften und hörten Musik. An sich nichts Ungewöhnliches in einem Parkbild. Manchmal hockten einige im Bauch des hölzernen Walfischs. Er war zu einer Seite hin offen, ein nur angedachter Walfisch, und Frantz hatte sie dort kauern und rauchen sehen. Frantz rutscht auf dem cremefarbenweinroten Sitzwendekissen weiter nach vorn und nimmt einen Schluck Kaffee. Er ist furchtbar stark.
»Komisch. Ich hab da nie was gehört. Gibt es nicht Ärger mit den Anwohnern? Ich kenne die Gegend gut, ich wohne da, und die ist irrsinnig familienlastig. Da hast du meist ältere Paare mit ganz kleinen Kindern, typische Prenzlauerberger Wessis, die mit vierzig, fünfzig oder sechzig ihre ersten Kinder kriegen und wahnsinnig auf heile Welt machen. Da gibt’s so ein Platzhaus und ein Stadtteilzentrum, in denen sie sich immer treffen und austauschen …«
Seko nickt.
»Die machten totalen Stress. Ständig gab es Anzeigen, ständig war die Polizei da. Wegen Lärmbelästigung, sonst was. Deswegen hat man uns dort hingeschickt. Die Kids waren zwischen elf und achtzehn Jahre alt. Einige kamen noch aus irgendwelchen Kriegen. Es waren überwiegend Moslems, auch Roma und Sinti. Eine total bunte Mischung, voller Energie. Sehr konsumorientiert. Sie wollten alle so schnell wie möglich ein Auto, Geld haben, eine Freundin. Am besten gleich wie Puff Daddy und Tupac sein. Vom Bildungsniveau her alle sehr niedrig. Keine Hoffnung. Bis auf zwei vielleicht. Die Mädels haben durchaus ihre gymnasiale Empfehlung bekommen, die Jungs alle abgegangen. Aber durchaus sehr präsent und in den Kiezen ziemlich angesagt.«
Frantz nickt.
»Jetzt kommen wir vielleicht zu dem Bereich, wo ich meine Grenzen gesehen habe. Man schafft ja über die Zeit so eine bestimmte emotionale Bindung zu den Jugendlichen. Für mich war es aber so ein Rätsel, es war da noch eine Kollegin, die war eine Frau, und die wusste das eigentlich auch nicht, und dann hat sich einer ihr gegenüber mal geoutet.«
Frantz sieht von seinen Notizen auf.
»Geoutet? Rätsel? Das verstehe ich jetzt nicht.«
»Ich habe mir immer die Frage gestellt, woher haben die das Geld? Irgendwie, wenn sie ihren Freundinnen Geschenke machten. Sie kauften ihnen immer teure Ketten, so für tausend Euro, und hin und her. Ich dachte, okay, die haben ein bisschen abgezogen, was geklaut, aber komisch. An einem Tag hatten sie Geld, dann wieder keins. Abends hatten sie keins, am Morgen hatten sie wieder welches. Ich dachte, die waren in der Nacht was klauen oder verkaufen, und das werde ich irgendwann mal mitkriegen. Bis wir uns auseinandergesetzt haben unter den Kollegen, und mir die Kollegin sagte, ja, weil die Jungs anschaffen gehen.«
Seko sitzt plötzlich da wie erstarrt. Er sieht Frantz an, als wolle er im nächsten Moment tot umfallen.
»Das war dann so für mich – anschaffen? Ich konnte mit dem Begriff zunächst gar nichts anfangen. Ich war ja erst neunzehn. Wie, anschaffen? Na ja, sagten die Kollegen, es
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