Gehwegschäden
hat er doch den gesamten Kuh-CO2-Ausstoß Graubündens praktisch weggeblasen. Da müsste man ja einen Weizentrinker wie den Frantz einsperren. Einsperren und auf Abstinenz setzen«, sagt der Schweizer.
Thomas Frantz enthält sich eines Kommentars.
»Ach, auf den Schweineseiten daddeln im Büro. Das entspannt, das entschlackt. Die halbe Welt tut das.« Fred hebt vergnügt den Kopf und seufzt.
Eine Weile schauen alle drei durch die Ladenscheibe auf den Tresen von Bei Heinz und Inge. Das Lokal ist gut besucht. Seit das junge Gastrounternehmerteam die Pacht übernommen hat, wird, durchaus mit Geschick, der Ruf einer originären Ostberliner Künstlerkneipe verbreitet.
»Künstler«, ruft der Schweizer, »sind immer Angestellte!«
Er blickt in die Runde und fährt fort.
»Wenn du wissen willst, wer die Welt regiert, musst du schauen, wer die Künstler bezahlt. Das waren früher die Päpste und Könige, heute sind es die Konzerne. Aber wie früher dürfen die Künstler ja natürlich nicht auf Augenhöhe mit den Konzernbossen stehen, das ist ja klar. Und natürlich dürfen sie nicht ihre eigentliche Aufgabe wahrnehmen, nämlich die Probleme der Menschheit aufzuzeigen. Denn dann müssten ihre Auftraggeber ja ein Teil dieser Kunst werden. Das geht aber nicht. Weil jene Herren die Kunst ja im Sack haben und selbst ein Teil der Probleme der Menschheit sind.« Der Schweizer grinst.
Vor Bei Heinz und Inge erscheint ein junges Pärchen. Offenbar auf der Suche nach dem Münzsalon.
»Antigentrifizierungsgesinnung und Modebewusstsein müssen einander nicht ausschließen«, sagt Thomas Frantz. »Dieser Dressman da im postmodernen Autonomenlook kombiniert die klassische Motorrad-Lederjacke mit hochwertiger Knitwear.«
»Das geht mir jetzt irgendwie total am Arsch vorbei.«
Der Schweizer schmollt ein wenig, weil Kunst sein Lieblingsthema ist und niemand darauf eingeht.
»Hm, als Trendscout würd ich sagen: geht so.« Fred hebt sein mitgebrachtes Bierglas an. Das Pärchen bleibt im Hauseingang neben Bei Heinz und Inge stehen und liest die Namen auf der Klingelleiste. Es scheint ziemlich ratlos.
»Die Dame: Hose extrakurz, die Fransen extralang, dazu Pyramidennieten und Punkerhalsband – ein Déjà-vu aus dem Jahre 1979, made by Diesel, würd ich sagen«, sagt Thomas Frantz.
»Könnt hinkommen.« Fred nimmt einen tiefen Schluck.
Thomas Frantz streichelt seine Bierflasche und stöhnt.
»Ich warte auf die Renaissance des Klosters.«
Der Schweizer ist noch ein wenig beleidigt.
Frantz lächelt in sich hinein. Er kennt das empfindsame Wesen des Berners. Das Pärchen vor Bei Heinz und Inge schaut durch die Scheibe in das originäre Künstlerlokal hinein. Es verstrickt sich in eine heftige pärcheninterne Diskussion. Da schiebt der Mistkäfer seine Kugel um die Ecke.
»Krisenticker! Krisenticker! Leute, lest den Krisenticker! China: Sensationelle Selbstmordserie unter geknechteten Arbeitern bei iPhone-Hersteller – Firma erwägt Einsatz von einer Million Robotern. London: Tausende stürmen Bank of England, Polizei hat alle Mühe, G20-Gegner in Schach zu halten. Frankfurt: Deutsche Kaufhauskette Woolworth vor dem Aus. 11 000 arbeitslos? Köln: Ermittler decken bei Razzia Stundenlöhne von 1,50 Euro bei Friseuren auf. Krisenticker, lesen Sie neueste Pleiten, Bankrotte und Bonuszahlungen! Zehn Millionen Schwarzarbeiter, Manager im Geldregen, Unternehmer fordern Lohnverzicht, Parlamentarier und Reiche werden vor Schweinegrippe mit speziellem Impfstoff geschützt, Erbschaftsteuer sinkt. Krisenticker, lest den Krisenticker! Krisenticker, lest …«
»Jetzt kommt der auch noch.«
Der Schweizer grinst wieder, Fred und Frantz winken heftig, Ansgar grüßt seine Kumpels, lädt die Zeitungstasche vor dem Stromverteilerkasten ab und holt sich beim Asiaten ein Bier. Das Pärchen vor Bei Heinz und Inge ist in einen handfesten Streit geraten.
»Und mein persönlicher Tagestipp?«
»Heute hab ich keinen. Ich mach jetzt Feierabend«, sagt Ansgar und prostet Frantz zu.
Es ist einer dieser friedlichen, herrlich sinnfreien Abende vor Bei Heinz und Inge bei mittlerer Temperatur, an dem Fred plötzlich einsilbig wird, lange Zeit in sein mitgebrachtes Bierglas starrt und dann den Zeigefinger hebt:
»Kombinatorik.«
Thomas Frantz und der Schweizer starren ihn fragend an.
»Kombinatorik.«
Thomas Frantz und der Schweizer blicken sich wissend in die Augen.
»Wenn ich’s euch doch sag: Kombinatorik! Damit könn mer Geld verdienen. Viel Geld.
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