Gehwegschäden
Griechenland, wegen Rehagel. Mirko war der Einzige bei Albers, der seinerzeit vorausgesagt hatte, dass die Griechen Europameister werden. Das hatte bei Albers niemand vergessen. Er saß da, trank, rauchte und sah die Leute an.
»So viele junge Menschen träumen von große Geld«, sagte Mirko. »Sie denken, sie finden es hier. Steht schon bei den Griechen. Panta rhei. Alles fließt.«
Mirko trank Cognac.
»Ist komisch. Wenn man hoch steigt, springt man wieder runter. Und freust dich über eigene Niederlage.«
Der Buchmacher, Maarten, schwarzer Kaffee, Schwarzer Krauser. Holländer, gelbe Zähne, Mathe längst abgebrochen. Albers in der Bülowstraße. Albers in Kreuzberg. Albers in Neukölln, zwölf bis elf. Hier wird auf alles gewettet. Was zwei, drei und vier Beine hat. Basketball, Eishockey, Hunde. Das ist ein Witz, der normalerweise ankommt. Ich kenne sie alle. In der Regel wetten sie über ihre Verhältnisse und auf ihre Vereine. Schalke zum Beispiel. Des Buchmachers Liebling. Sicherer Verlierer. War ’n Witz.
Maarten hockte sich mit seinem Kaffee dazu, Mirko lehrte Kombinatorik, Maarten grinste und rauchte. Noch im letzten Jahr hatte Mirko mit einem Schlag zwölftausend gemacht. Mit einer Kombiwette aus zwölf Spielen und 7,50 Euro Einsatz. Maarten nickte. Mirko trug den Wettschein in seiner Geldbörse. Jeder bei Albers trug seine Gewinner immer am Mann. Wenn man fest damit rechnet, sagte Mirko, dass man gewinnt, ist man schon krank. Fred nickte. Maarten ging wieder hinter seinen Schalter. Frantz holte Bier und für Mirko eine kleine Flasche Chantré vom Kiosk nebenan. Das erste Rennen in Dinslaken startete. Das fünfte in England, das siebte in Vincennes. Mirko setzte auf Schalke, Valencia, Bayern, Cottbus und einen Frantz nicht bekannten Verein der League Two in England. Thomas Frantz verteilte seine Kreuzchen auf dem Wettschein. Als würde man in einer Kneipe in Manchester sitzen und auf das Vorbereitungsspiel ZSW Meuselwitz gegen den SV Fortuna Dingelstedt in der Oberliga Vorharz setzen. Die Mischung macht’s, sagte Fred. Kann gar nicht wild genug sein, das isch ja der Trick. Da legte ein Mann einen Wettschein auf den Tisch. Hinter seinem Rücken hätte sich selbst Frantz mühelos verstecken können.
Josef, Papyrossi und Wodka. Groß wie breit. Hände wie Schaufelraddampfer. Weißkopfadler nennen sie den kroatischen Riesen. Dreher, Isolierer, verlorene Lesebrille im slawischen Gesicht. Auf der Baustelle war Freiheit. War Lotto und Glücksspirale. Jetzt sind Arme und Hände kaputt. Manchmal setz ich Hertha. Mein Herzensmannschaft.
Frantz betrachtete Albers’ Wettbüro mit einer beinahe ethnologischen Neugier. Glücksspieler machten vor keiner Grenze, keiner Sprache, keinem Handicap halt. Wetten war die Globalisierung des kleinen Mannes. Sie scherte sich einen Dreck um Gesetze, und sie ließ sich nicht aufhalten. Dann und wann stand Frantz auf, lief hinüber zum Kiosk, kaufte Bier und einen Flachmann für Mirko. Fred, Ansgar und der Schweizer gingen mit ihren Slips zum Schalter. Der Mensch ist ein Tier, aber Intelligenz ist seine stärkste Waffe, sagte Mirko. Thomas Frantz und der alte Bosnier studierten die Traberzeitungen und Fußballmagazine. Das Glück lag auf den grünen Resopaltischen, er musste es nur in die Hand nehmen und zum Schalter tragen. Das stellt das Gehirn zufrieden, sagte der alte Bosnier.
»Gomm die swölf, gomm die swölf!«, schrie ein Afrikaner durch den Raum. Er blickte auf die Bahn in Daglfing.
»Isse voll scheiße«, entgegnete ihm ein Araber.
Die Börsensprache war Deutsch. Immerhin, hier hatte die Integration funktioniert. Auch der Balkankrieg fand in der Hermannstraße statt, erfuhr Frantz von Mirko, inzwischen saßen sie alle wieder beisammen.
Der Traber. Dirk, Coca Cola, Schnupftabak. Groß, schlank, Zopf. Den wohlklingenden Nachnamen DeVascanzellos verdankt er einem portugiesischen Wanderarbeiter. Gelernter Pferdewirt und ehemaliger Trabrennfahrer. Kennt die Turfs vom Emsland bis Baden-Baden. Ich setze klein bis mittel. Maximal 30 Euro, dann ist Schluss. Dann muss man sich den Mund abwischen.
Dirk war einer der wenigen bei Albers, der eine Freundin hatte. Und der Einzige, der nicht rauchte. Er setzte nur auf Pferde, die er kannte, persönlich. Er hielt Kontakt zu Fahrern, Ställen und Besitzern. Kleiner und großer Einlauf, Kombi. Er suchte sich zwei oder drei Rennen aus. Wenn da noch ein Krummer mit drin war, konnte die Quote durch die Decke gehen. Seine Expertise
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