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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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Ich hab’s alles schon durchgerechnet am PC. Mit ganz kleinen Einsätzen, zunächst, kommen wir da schon ganz schön weit. Dann stellen wir um auf hohe Beträge und sprengen das System.« Fred zündet eine Zigarette an.
    Seine Brillengläser leuchten.
    Sie standen schon am Mittag vor der Tür und rauchten. Sie rauchten in der Kälte. Eine halbe Stunde später war Albers’ Wettbüro brechend voll. Alle rauchten. Um zwei liefen die Traber in Dinslaken. Um vier die Hunde in England. Andere warteten, tranken Kaffee aus Pappbechern und rauchten. Sie warteten auf die Champions League am Abend. Auf irgendwas.
    Frantz und Fred hatten sich die Hermannstraße ausgeguckt. Zwischen Friedhof, Café Istanbul und U-Bahnhof Boddinstraße in Neukölln lag das Glück auf der Straße. Die Hermannstraße war eine ehrliche Straße, wie Thomas Frantz meinte, weil sie nicht vorgab, etwas anderes zu sein, als sie ist. Man erkannte das an ihren Geschäften. Wettbüros reihten sich an Läden wie McGeiz, Pennyland und 99 Cents, an Kung-Fu-Schulen und Schnapsdiscounter. Das Glück tauchte immer dort auf, wo die Not am größten war. Man musste sich nur bücken. Es aufheben. Es umarmen. In der Hermannstraße lagen die Wettbüros einander gegenüber, so dass sie die Form eines vierblättrigen Kleeblatts bildeten. Wie ein Maikäfer auf einem Blatt saß eine kleine Ladenwohnung auf dem Glück und nährte sich davon. In der Casa de Oxum der Madame Dalva gab es Talismänner und Kräuter aus dem Regenwald zu kaufen. »Gegen Geldmangel« oder »Für Geld in Hülle und Fülle« stand im Schaufenster geschrieben. Madame Dalva stammte aus Brasilien. Das konnte man einer dort aufgestellten Tafel entnehmen. Sie füllte auch Wettscheine aus, erfuhr Thomas Frantz bald, das hatte sich bei Albers herumgesprochen, seit ein Anfänger mit ihren blinden Strichlein aus zwei Euro 4000 gemacht haben soll. Das hatte Frantz überzeugt.
    Es herrschte eine gewisse territoriale Aufteilung in Albers’ Wettbüro. Auf der Insel, einem Podest, auf dem drei mit grünem Resopal bespannte Tische standen, saßen die Traber. Im hinteren Raum bildeten sich Gruppen von Afrikanern, Arabern. Die Türken hielten sich in der Nähe des Ausschanks auf. In der Mitte des Raums befanden sich die Wettschalter. Es waren kleine, mit Glasscheiben abgetrennte Buden, in denen die Buchmacher saßen. Die Wände waren verkleidet mit grünem Resopal. Die Barhocker und Lampen waren aus grünem Resopal. Es gab in diesem Raum nichts Überflüssiges. Keine Pflanzen, keine Bierdeckel, Servietten, Bilder. Es gab Kaffee im Pappbecher und Bier aus Flaschen. An den Wänden reihten sich Bildschirme neben Spielautomaten. Bald wateten alle knöcheltief in Fotokopien und Wettslips. Frantz, Fred, Ansgar und der Schweizer saßen an Mirkos Tisch, und Mirko kannte sich aus in Kombinatorik.
    Mirko, der Literat. Multivitaminsaft und Chantré. Trockenbauer und Heizungsmonteur. Hilfskellner und Universalschleifer. Sarajevo, München, Berlin. Koch im Restaurant mit Kegelbahn und Aushilfskellner Trabrennbahn Mariendorf. Ich habe schweres Leben gehabt. Steht alles schon bei Jack London. König Alkohol. Ich sag euch was: Der Spieler setzt zwei Euro, das Minimum. Der Zocker setzt zwanzig und zweihundert. Daran erkennt man sie. Der Mensch ist ein Tier ohne Grenzen. Eine unersättliche Bestie. Der Schwache wird von den Starken getötet.
    Mirko kniff seine Augen zusammen, verzog sein altes, kantiges Gesicht und trank einen Schluck Cognac. Er kramte seine Geldbörse hervor, zog einen Wettschein heraus, einen großen Gewinner, betrachtete ihn und küsste dann das Foto seines Enkels. Hat einer alles verzockt und kein Geld mehr, ist er mause gegangen, erklärte Mirko. Hat er sich welches beschafft, geliehen oder gestohlen, ist er wieder modern. Handicap Null heißt, eine Mannschaft bekommt zwei Tore Vorsprung und Handicap Eins drei Tore. Frantz hing an seinen Lippen. In keinem Bankhaus der Welt wurde konzentrierter an Zahlen gearbeitet als bei Albers. Alle sprachen in Kürzeln und Codes, kauften und verkauften Kombiwetten wie Aktien und sicherten sie mit Zusatzwetten ab, wenn ein Faktor wackelte. Jeder Golfball von Los Angeles bis Tokio konnte hier gehandelt werden. Hongkong lag an der Hermannstraße, solange der Buchmacher die Wette annahm. Spielen ist wie Sex, sagte Mirko. Nur besser. Das Gehirn ist völlig ausgeschaltet. Das leuchtete Frantz ein.
    Mirko wettete auf Pferde und Fußball. Hertha und Bayern. Köln, wegen Daum.

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