Geier (German Edition)
fuhren los. Zwischendrin hielt ich an und klappte das Verdeck runter. So ein sagenhafter Tag ist wie fürs Cabriofahren gemacht. Nicht allzu heiß, ein hübscher Fahrtwind und gutgelaunte Autofahrer ringsum. Was ich oft feststelle – wenn die Leute mein Auto sehen, sind sie richtig freundlich.
Ich habe die Mühle von meinem Alten geerbt, der sich bestimmt noch immer in den Arsch beißt, wenn ich sie fahre. Falls er da unten mitkriegt, dass ich in seinem Augapfel unterwegs bin. Ein wunderschön erhaltenes 1976er Eldorado Biarritz Convertible, das der auf Jugendfrische bedachte Provinzarzt kaufte, als es erst knappe sechs Jahre alt war und nichtmal fünftausend Meilen auf dem Buckel hatte. Sein Besitzerstolz währte nur wenige Wochen – sein Pech. Der Sensenmann holte ihn ausgerechnet als der pechschwarze Caddy mit den burgunderroten Ledersitzen richtig schön eingefahren war.
Meine Mutter wollte das Auto nicht – seinen „Wahnverstärker mit Rücksitzpuff“ nannte sie es verächtlich. Und seither gehört es mir. Ich hatte damals erst seit einigen Monaten meinen Führerschein. Pikanterweise kurz nach dem fiesen Hot-Rod Spruch meines Alten. Wer zuletzt lacht, was?
Die flotte Julie und ich brausten den Highway One nach Süden, immer schön genüsslich am Meer entlang, mit Creedence Clearwater im CD-Spieler und der Sonne auf der rechten oberen Kopfhälfte. Gegen zwei Uhr kamen wir unterhalb der alten Ronald Reagan Rancho del Cielo an den Strand von El Capitan, kauften am Kiosk ein Eis und spazierten Händchen haltend zum Wasser herunter.
Der Tag konnte nicht schöner sein – wer ein Segelboot hatte, war draußen zwischen Inseln und Festland, Wasserskiläufer zogen in Strandnähe ihre Hahnenkämme, und Schnorchler streckten die gummiüberzogenen Hintern aus dem Wasser. Sie gefiel mir, die Julie – wir waren ausgesprochen kompatibel. Sprachen nicht viel, waren aber auf gleicher Wellenlänge.
Ich hatte keinen Plan. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, wenn wir nach Santa Barbara kamen, aber irgendwann wollte ich mir mal meinen Möchtegernkiller angucken. Nur so. Kann nicht schaden, wenn man weiß, wie jemand aussieht, der einem das Licht ausblasen will.
Wir fuhren den Freeway hinunter, an Naples und dem neuen Strandhotel in Goleta vorbei. Ich blieb auf der rechten Fahrspur, denn Mister Mannlich wohnte in der West Islay Street, und die erreicht man am einfachsten über die Abfahrt Mission Street.
„Du willst doch bestimmt die Adresse aufsuchen, die ich dir gegeben habe.“ Sie schaltete schnell, die Julie. Ich nickte. „Meinst du nicht, dass ich vielleicht irgendwo in der Stadt auf dich warten sollte?“ Ich sage ja, dass sie auf Zack ist. Aber ich winkte ab – ich wollte sie dabei haben. „Mit dir zusammen falle ich weniger auf – und außerdem will ich nur mal sehen, wo der wohnt.“ Sie zog die Schultern hoch und schaute geradeaus.
Ich hielt auf der Mission Street und ließ das Verdeck hochklappen. Diese alten Caddys haben ja für alles einen Elektromotor, fürs Verdeck sogar drei. Ich war jedes Mal wieder begeistert.
Im Auto wurde es schummrig. „James Bond, was?“ fragte sie denn auch. Ich nickte. James Bond. Klar.
West Islay Street war früher mal schöner. Da wohnten richtige Familien im hügeligen Gelände kurz vorm Meer, bauten kleine Holzhäuser und pflegten die Gärten, in denen Kinder gut aufgehoben waren. Heutzutage stehen aufgebockte Autoleichen auf zubetonierten Grundstücken, Mehrfamilienhäuser haben die Bungalows verdrängt und Graffiti markiert Bandengrenzen. Kahlschädel lungern unter staubgrauer Botanik, bieten Konsumgüter aller Art feil und werden von strafunmündigen Kindern per Handy vor Polizisten und sonstigen Auffälligen gewarnt. Dann verschwinden Sore, Stoff und Nutten in offenstehenden Haustüren, und die Glattgeschorenen pfeifen grinsend ein harmloses Liedchen.
„Hübsche Gegend“, meinte sie denn auch. „Ich war schon ewig nicht mehr hier. Habe mal auf der San Andres Street gewohnt, ein Stückchen weiter westlich, aber damals war es lange nicht so verkommen.“ Ich gab ihr recht. Selbst die alten Straßenbäume sahen abweisend aus.
Die West Islay-Adresse war ein etwas zurückgesetztes, leicht vergammeltes zweistöckiges Sechsfamilienhaus mit einem leeren eingezäunten Swimmingpool davor. Zwei um jedes Tröpfchen Wasser kämpfende Palmen sollten nichtvorhandenen Schwimmern Tropen vorgaukeln, und ein riesiges handgemaltes Schild warnte,
Weitere Kostenlose Bücher