Geier (German Edition)
erschrak, und ging voran, durch die Tür, die hängende Stahlleiter hinab und in die Kanalisation. Dickie ächzte mir nach.
„Woher kennst du den Ausgang?“ Ich grinste nur und zog das untere Augenlid noch tiefer. Holzauge. Aber weil ich ihn dabei auf männliche Art umarmte – Seite an Seite, Arm über die Schulter und gezogen, bis es knackte – war er nicht sauer, sondern eher erleichtert.
„Pass auf – und merke dir gut, was ich dir zu sagen habe. Behalt´s aber für dich. Mir ist einer auf den Fersen, seit Tagen schon. Zum zweiten Mal war ich jetzt Schießscheibe, und ein drittes Mal verfehlt der mich nicht. Ich muss also abhauen. Sofort. Ich brauche Geld, Kleidung, ich brauche ein Telefon und vor allem brauche ich meine Mühle. Helfe mir dabei.“
Klar, nickte er. Kein Problem. Ich gab ihm die Schlüssel zur Harley, mit der Warnung, erst mal sicher zu sein, dass bei mir keiner lauert, mit einigen Tipps wie die Maschine zu starten war und wie sich die Kupplung verhielt. Dann schrieb ich ihm einen Scheck über fünfhundert Dollar – das war der Höchstbetrag, den er aus seinem Bankautomaten auf einmal holen durfte, und ich gab ihm meine Bankkarte und das Passwort, damit er von meinem Konto noch mal fünfhundert holen konnte. Meine Kleidungsgröße wusste er – da winkte er fachmännisch ab, als ich die ihm erklären wollte. Hatte wohl ein Auge dafür.
Ich verzog mich wieder in seinen Bau und suchte erst mal einige meiner gelungeneren Sendungskonserven aus seinem Archiv. Der Springer, der dieses Wochenende für mich im Studio saß, würde die Bänder laufen lassen und nur mit aktueller Werbung unterbrechen. Ich schrieb dazu, er solle vor und nach jeder Werbeeinschaltung darauf hinweisen, dass es sich um eine meiner „klassischen“ Shows handele – dass ich nicht selbst im Studio sei, sondern auf Recherche im Zentrum der Rockindustrie. Dass er sich damit Gesundheit und die Chance auf ein langes Leben erkauft, wollte ich nicht dazuschreiben. Ging auch so.
Dann machte ich ein paar Notizen auf Dickies Computer. Ohne Adressangabe schrieb ich, wo ich was hatte; meine Zweitschlüssel, die Telefonnummern, die Unterlagen für die Sendung, sämtliche Konten, alle über den Daumen gepeilten Außenstände. Ich gab ihm Vollmachten für meine Angelegenheiten, ging mit dem Ausgedruckten hoch in die Küche und ließ zwei der Hilfsköche dort beglaubigen, dass ich in ihrem Beisein unterschrieben hatte. Dann schlich ich in den Keller zurück und wartete.
Er kam gegen neun wieder die Treppe hinunter, den Arm voll Plastiktüten, die Hosentaschen ausgebeult. Um diese Zeit müsste es dunkel werden. Ich wollte so schnell wie möglich aus der Gegend verschwinden.
Erst mal nahm ich das Geld, dann probierte ich ein paar Klamotten an. Jeans, Hemd, Jacke – passte alles wie angegossen. Er hatte wirklich ein Auge für die männliche Form, auch die schon etwas ausgebeulte. Meinen Backpack hatte er mitgebracht, mein Motorradzeug hatte er hineingestopft. Mit meiner Spezialbrille, zum Glück, ohne die ich möglichst nicht fahre. Dann sagte er mir, wo die Harley stand.
Er hatte den Cadillac „ganz locker, Junge, als würde ich das jeden Tag machen“, vom Parkplatz geholt und zu mir nach Hause gebracht, ihn in den Schuppen gestellt, aus dem er die Harley geschoben hatte – und, nein, niemand sei dort gewesen, er habe erst lange geguckt und einen Haufen Krach gemacht, wie ich es ihm geraten habe – und die Maschine hinter die Essotankstelle an der Eucalyptus Street gestellt, beim Klo, wo kaum jemand mal hinkommt.
Ich zeigte ihm, was ich aufgeschrieben hatte, gab ihm die Vollmachten und nahm vorsichtshalber sein Mobiltelefon mit. Er konnte meines haben, das mit den Rechnungen sollte er aus meinem Sendungsguthaben erledigen.
Alles klar. Also ging ich wieder, gut bepackt, durch die Kanalisation bis zur Ecke Main/Eucalyptus. Zum Glück haben die städtischen Kanalisationstypen, die sich da unten herumtreiben, überall in Augenhöhe die Namen der darüber verlaufenden Straßen gekritzelt. Kurz vor der Tankstelle kam ich an die Nachtluft, ging vorsichtshalber am Eckgrundstück vorbei und drehte erst auf das Gelände ein als ich wusste, dass niemand bei meiner Harley lauerte. Dann schnallte ich meinen Beutel und die Tüte auf dem Gepäckträger fest, ließ die Mühle an und fuhr bei sternenheller Nacht ins Big Sur.
8 Freunde in der Not...
Der Fahrtwind zauste und zerrte an mir, als ich über den
Weitere Kostenlose Bücher