Geier (German Edition)
nicht weiter. Wir sind zusammen aufgewachsen. Da kennt man sich. Auch wenn sich die Wege trennen.
Ich saß vielleicht zehn Minuten da, bis Julie an die Tür klopfte. Kami hatte mir eine Cola gebracht und sich wieder um seine Bretter gekümmert. Ich schaute zu, wie er sie über seiner Badewanne wusch und putzte, und ich sehnte mich sehr nach meiner im Nachhinein stark idealisierten Jugend.
Kami schloss auf, Julie trat ein, nickte ihm zu, schaute mich an und deutete mit einer Kopfbewegung nach draußen. Ich nickte, griff den dicken Kamehameha und drückte ihn an mich. Dann gingen wir.
Sie brachte mich nach Arroyo Grande, in die Bikerkneipe, die ich gelegentlich zum Stammlokal machte. Um halb sechs würde sie mich wieder abholen – bis dahin war ich sicher. Meinte ich. Sie ließ mir noch einen Zwanziger da und ging wieder. Ich bestellte Bier.
Als sie kam, war ich schon viel ruhiger. Das haben große Mengen Bier, in kurzer Zeit genossen, so an sich. Der Zwanziger war versoffen, und so gut kannten sie mich, dass ich noch auf Kredit weiterschlucken durfte bis sie wiederkam. Julie ließ sich einen Rotwein bringen, zahlte für uns beide, und trank wortlos mit mir.
Im Auto erzählte ich ihr, was sich abgespielt hatte. Sie erschrak furchtbar; weniger über mein Zielscheibenerlebnis als über das Verschwinden Curties. Das verdeutlichte die Gefahr, in der ich mich befand. Und sie sich eventuell auch.
„Fahre erst mal die Straße vorm Hotel hinunter und schaue, ob du einen siehst, der nicht da sein sollte. Dann lasse mich am Vordereingang raus und gehe heim. Versuche ja nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen – ich rufe an wenn ich sicher bin, dass ich dir damit nicht schaden kann. Wenn du mich unbedingt brauchst, rufe Dickie im Sender an und sage ihm, er soll sich mit mir in Verbindung setzen.“
Sie nickte. Dann fuhr sie im Feierabendverkehr durch die Kleinstadt, tuckerte im Schritttempo zwischen den Touristen die Pier Avenue hinab, am Hotel vorbei, und machte am Parkplatz einen großen Bogen, der sie wieder zurückführte. Ich hatte mich im Beifahrersitz kleingemacht, aber auch nichts gesehen, was ich nicht sehen wollte. Vorm Hotel stieg ich aus und verschwand im Foyer. Sie fuhr sofort weiter.
Die Kellertür war von innen abgeschlossen, also war mein molliger Freund wieder da. Ich rief vom Empfang aus seine Handynummer an. Er stapfte sofort die Betontreppe hoch und schloss auf. Dann setzten wir uns in sein Büro und machten ein paar Biere auf.
Die Bullen hatten recht gelassen auf das gemeldete Verschwinden des angesehenen Bürgers Curt Cremer reagiert. Zwischen Schlucken berichtete Dickie atemlos und aufgeregt, was Florence ihm brühwarm erzählt hatte. Dickie schien nicht allzu betroffen, denn der Boss nannte seinen kahlen Ingenieur immer nur Süßer oder Goldilöckchen, besonders, wenn Leute dabei waren. Was dem mächtig peinlich war. Aber er traute sich nie, aufzumucken. Jetzt war eine klammheimliche Freude nicht zu verhehlen. Schadenfreude ist doch die echteste.
„Hör mal, Dickie, du weißt ja wohl, dass heute Mittag hier der Teufel los war.“ Er guckte mich nur blöd an. „Dass einer auf mich geschossen hat?“ Dickie erschrak und schüttelte den Kopf. „Wann bist du denn wieder zur Arbeit gekommen? Warst wohl weg, was?“
„Am Strand, aber nur eine Stunde oder so. Wer hat auf dich geschossen?“
„Weiß ich nicht – kann jeder gewesen sein. Hast du dich mit jemandem unterhalten, seit du wieder hier bist?“ Nee, hatte er nicht. Schaute recht ertappt drein, der Kleine. Hat wohl wieder hinterm Felsen seine rocks off gekriegt.
„Rufe mal Bob an und frage den, was hier los war.“
Das tat er, der Gute, und staunte nur so in den Hörer hinein.
„Also, die haben Schüsse gehört und die Cops angerufen. Und du bist aus lauter Panik durch die Küche gerannt und hast seinen Koch total verstört, meint er. Die Bullen kamen dann auch, fanden aber außer zwei Einschusslöchern in der hinteren Wand nichts und sind wieder weg. Die sagten ihm, das seien wohl die üblichen Idioten, die aus lauter Übermut wieder in der Gegend herumballern.“
Was soll man da sagen? Mir war schleierhaft, warum die hiesigen Cops so mauerten. Erst bei meinem Einbruch, dann bei Curties Verschwinden, und jetzt bei der Knallerei, die die halbe Stadt gehört haben muss.
Auf alle Fälle musste ich erst mal weg. Ich deutete also auf die Stahltür zur Pismoer Unterwelt, worüber Dickie noch mehr
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