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Geier (German Edition)

Geier (German Edition)

Titel: Geier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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jetzt, dass du dich trotz Warnung um sie kümmerst. Was ahnen lässt, dass die tief mit drinstecken. Also will dich eine der Parteien wegblasen, vielleicht beide – Bullen und Pusher. Weil du denen zu nahe kommst. Muss viel Geld im Spiel sein. Logisch, dass du nicht quatschen darfst. Die werden nicht ruhen, bis du tot bist. Garantiert. Lass uns ein paar Tage überlegen – du kannst sowieso im Moment nirgendwo hin. Für dich ist es hier am sichersten. Uns fällt garantiert was ein. Tut´s hier oben immer.“
    Kein Wunder, dass der so einen Haufen Geld verdient hat. Der ist clever, der John. Hat vollen Durchblick, der mir leider allzu oft abgeht. Ich nickte. So klar hatte ich mein Dilemma noch nie gesehen. Schöne Scheiße.
     
    Wir verbrachten den Tag im Gebirge. Spazierten Johns Berg hoch, saßen oder lagen einige Stunden im Gras auf dem Gipfel und schauten übers Meer, bis die Sonne unterging. Für das Schauspiel kommen Leute aus der ganzen Welt ins Big Sur. Es ist schon verblüffend, welches Feuerwerk der Stern entfacht, wenn er im Pazifik versinkt. Innerhalb weniger Minuten flackern von Orange bis Lila sämtliche Rottöne über den Horizont. Ich hatte hier schon Hunderte Sonnenuntergänge erlebt, und doch war jeder anders, jeder begeisternd. Therapeutisch.
     
    Lange Spaziergänge machten wir, verbrachten viele Stunden im Heimstudio, wo ich nach seiner Anweisung aufnahm, während er Mandoline, Gitarre oder Banjo spielte und sang. Im Herbst wollte John die Arbeit an einem neuen Soloalbum beginnen, hatte schon einige neue Songs dafür ausgearbeitet und wusste nicht so recht, welche Stücke aus seinem riesigen Repertoire er mit dazunehmen würde. Ich machte Vorschläge, er nickte oder verwarf und spielte vorsichtshalber von jedem vorgeschlagenen Song ein paar Takte, sang einen oder zwei Verse dazu und machte mir damit eine Freude, die nur wenigen vergönnt ist. Deshalb bin ich Moderator geworden, deswegen mache ich noch immer meine eigene Sendung. Weil es so viel sagenhafte Musik gibt, und so viele verschiedene Arten, sie zu spielen und zu singen. Unendlich, die Möglichkeiten. Und unendlich, die Schönheit der Musik. Bei einem Interview kurz vor seinem Tod sagte mir der texanische Gitarrengott Stevie Ray Vaughan, es gebe keine schlechte Musik, es gebe nur schlechte Musiker. So isses.
     
    Die Woche im Studio und in der Wildnis war seit Langem die schönste. Ich genoss. Zwischendurch sprach ich ein paarmal mit Dickie. Curtchen fehlte noch immer, der Laden trabte so vor sich hin, und einige der On Air Personalities hatten Starallüren entwickelt – keiner gab ihnen einen Dämpfer, niemand achtete auf Qualität und Inhalt, also drehten die Mikrofonjockeys durch.
    Ich hatte zwei Wochensendungen geschrieben und den Kommentar dazu aufgenommen. Den schickte ich in bester Digitalqualität per Computer. Dickie versprach, beide schnellstens zusammenzustellen, auf CD zu brennen und zu verteilen. Womit mein Einkommen noch mal für einen halben Monat gesichert wäre. Das ist extrem wichtig, denn ich habe immer alles ausgegeben, was ich einnahm. Keine Reserven. Wozu auch? Ich bin Kalifornier und surfe, bis ich tot vom Brett kippe. Das war mein bisheriger Lebensplan.
     
    Am Sonnabend trabten wir wieder die zwei Meilen bis zu seinem Aussichtsgipfel hoch. Er hatte sich Gedanken gemacht, schrieb er auf einen Zettel, den er mir über den Tisch schob. Obwohl unbegründet, hatten wir Bedenken, dass wir abgehört würden, also sprachen wir schon seit Tagen nicht mehr über meine Situation, sondern tauschten bei Bedarf Zettel aus – ich glaube, wir wurden beide paranoid. Ich las, dass wir uns unterhalten sollten, möglichst auf dem Gipfel, wo uns keiner hören konnte. Also stapften wir hoch.
    Ein Kondor zog seinen gewaltigen Kreis. Über dem bewaldeten Höhenzug erwischte er einen warmen Aufwind, der ihn bis zum Strand trug. Mit wenigen gemächlichen Flügelschlägen gewann er die nötige Flughöhe zurück. Über uns wirkte er mit seiner riesigen Spannweite wie ein vorsintflutliches Ungeheuer, sein roter Kopf leuchtete in der Frühsonne, die schwarz gefiederten Schwingen warfen lange Schatten auf die Riesenbäume, die am westlichen Abhang wuchsen.
    Seit Tagen lag ein verendeter Seelöwe in der unzugänglichen Bucht, weshalb wir häufig Geier sahen. Allerdings war der Seelöwe inzwischen gefressen oder wieder ins Meer gezogen worden – sonst wäre unser Kondor am Strand gelandet und nicht im Suchflug.
     
    Die roten Stämme der

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