Geier (German Edition)
Küstenhighway One donnerte. Den Helm hatte ich auf mein Gepäck geschnallt. Auf längerer Nachtfahrt trage ich immer eine alte Rennbrille Marke Stirling Moss, so eine mit abgewinkelten Gläsern in einem lederüberzogenen Blechrahmen. Die Fliegenden Männer auf ihren Seltsamen Harleys. Egal. Die Brille sieht sagenhaft aus, und sie schließt so dicht ab, dass die Augen vollständig vom Fahrtwind geschützt sind.
Den kurzen Jackenkragen nach oben geschlagen, die hochhackigen schwarzen Cowboystiefel mit den blauen Schlangenledereinsätzen fest auf den Fußrasten; so kann man quer durch die Staaten fahren. Und genau das mache ich eines Tages. Sobald wieder Ruhe ist und die Kohle stimmt, sobald genug da ist, um ein halbes Jahr nicht unbedingt arbeiten zu müssen. Dann donnere ich Richtung Wüste und nehme vor Arizona das Gas nicht weg.
Am Hearst Castle oberhalb San Simeons düste ich vorbei, an dieser größenwahnsinnigen Alphütte, bollerte über den schmalen Betonstreifen nach Piedras Blancas, wo im Winter Tausende Seeelefanten an Land kommen, um auf dem breiten Sandstrand ihren Nachwuchs zu werfen und frischen anzusetzen. Ich hielt auf dem Strandparkplatz, der zu dieser Stunde nur vom fahrenden Völkchen belebt wurde, von Urlaubern in Wohnmobilen und RV-Rentnern in der vorletzten Behausung ihres irdischen Aufenthaltes.
Unten am nun Seeelefantenfreien Strand brannten kleine Feuerchen, auf dem Parkplatz plärrte aus sämtlichen Wohnwagenlöchern das gleiche Fernsehprogramm. Dafür verkaufen die Leute nun ihr Haus, trennen sich von Nachbarn und Verwandtschaft und treiben sich fortan auf den Highways Amerikas herum. Dass sie am Strand parken können und das gleiche dämliche TV-Programm anglotzen wie alle anderen Seß- und Nichtsesshaften.
Der grelle Halogenstrahl des Leuchtturmes bestrahlte im Minutenabstand den Parkplatz, und wer trotzdem einschlief, der wurde tief in der Nacht unsanft geweckt. Gegen drei kam die Strandpatrouille und machte Krach, klopfte an Türen und verteilte Strafbescheide.
Kalifornische Gemeinden und Landkreise, sonst großzügig bis zur Peinlichkeit, können Landstreicher, Obdachlose und wilde Camper auf den Tod nicht leiden. Die Verbotsschilder waren ernst gemeint – übernacht parken war hier strengstens untersagt. Deshalb schliefen Kenner schon mal eine Runde vor. Jetzt war´s Viertel vor elf – in spätestens fünf Stunden war der Parkplatz leer und die Wildnissuchenden wieder auf dem Highway.
Am kalifornischen Strand gilt die amerikanische Pionierphilosophie des selbstversorgenden Einzelgängertums nichts mehr. Wer der örtlichen Wirtschaft den Umsatz verweigert soll schleunigst weiterziehen.
Ich ging zum Strand hinunter und ließ mich auf ein Bier einladen. Deutsche Touristen waren es wohl, denn Einheimische wissen, dass der Sheriff sie mitnimmt, wenn er am Strand alkoholische Getränke findet. Egal, wie alt der Trinker ist. Hörten sich nach Deutschen an. Oder Schweizer, Österreicher, whatever. Aber das Bier, das sie mir anboten, war klasse.
Kurz nach elf fuhr ich weiter. Eine Stunde später war ich im Big Sur, mitten in der Waldeinsamkeit. Um diese Zeit wollte ich bei John nicht anklopfen – dem würde das Herz in die Hose fallen. Ich hielt auf dem Limekiln Campingplatz, setzte mich an den Strand, trank die Flasche Bier aus, die mir die Deutschen noch mit auf den Weg gegeben hatten, und schlief im Sand ein. Die überm Berg blutrot aufgehende Sonne weckte mich.
Ich duschte auf dem Campingplatz, nahm die Einladung zwei ausgesprochen netter Menschen zum Frühstück an und gab ihnen dafür einige Ratschläge, wohin und wohin lieber nicht. Big Sur ist ja eine neunzig Meilen lange, gute dreißig Meilen breite Bergwildnis zwischen Meer und den Feldern, auf denen westlich des Highway 101 die gewaltigsten Ernten heranreifen.
Erdbeeren und Knoblauch, Artischocken und Brokkoli werden dort rund ums Jahr geerntet, aber im Küstengebirge ist es oft so kalt und neblig, dass die wenigen Bewohner, von denen einige ganzjährig in abgelegenen Holzhütten ohne Strom und Kanalisation hausen, ein ganz besonderer Schlag sein müssen. Eremiten. Leute, die allein bleiben wollen. Die schon mal auf einen schießen, der uneingeladen ihren privaten Dreckweg befährt. Wer hier ein No Trespassing Schild an einen straßennahen Baum nagelt ist oft bereit, dem Betretensverbot mit dem Colt Nachdruck zu verleihen.
Mein Freund stand vor seinem Haus und schaute zu, als ich mich auf seiner
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