Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
Herablassend und fast schon mitleidig erwiderte er ihren Blick.
Bei dem Wort Pädophilie hatten sich sämtliche Ohren gespitzt, denn kaum ein Thema ist heutzutage heikler. Und weiter im Text: „Dann wird man dich einsperren.“ Der Gedanke schien ihr zu gefallen. „Jawohl, wegsperren. Und im Gefängnis wirst du dann von den anderen gedemütigt. Mit so Menschen wie dir macht man da nämlich kurzen Prozeß. Und Magdalena-Theresa und ich können dann endlich in Frieden leben, wie es sich für Mutter und Tochter gehört.“ Ihre Stimme verlor schlagartig an Schärfe, Theresa Trinklein-Sparwasser geriet geradezu ins Schwärmen: „Urlaub werden wir dann machen, an der Côte d’Azur gemeinsam am Strand liegen. Magdalena-Theresa wird mir auf dem Klavier Beethoven vorspielen. Und Mozart, vor allem Mozart. Das Klavierkonzert in C-Dur. Vielleicht auch vor Publikum. Hotels haben ja auch so kleine Säle für Konferenzen. Ein kleines Kammerkonzert, oh ja. Das Wunderkind gibt sich die Ehre. Und Plakate, selbstverständlich. Plakate werden sie ankündigen. Bald wird meine Magdalena-Theresa so weit sein. Nicht mehr lange, das weißt du.“
Fast schon liebevoll sah sie ihren Exmann an, bis sie sein spöttischer Blick zurückrief und wie einen leeren Sack in sich zusammenfallen ließ. Als wäre alles Leben aus ihr gewichen, sank sie zur Seite und lehnte sich an den Tresen. Ein letzter träumerischer Seufzer vermittelte den Eindruck ausgehauchten Lebens. Die Stille, die eintrat, war frostig.
Uzi, Oma Hoffmann, Herr Schweitzer und Popic suchten untereinander Blickkontakt. Das Kerzenlicht flackerte. Und wenn Herr Schweitzer die Mienen der anderen richtig deutete, so hegten sie ähnliche Gedanken wie er, auch weil sie immer wieder verstohlen den Bankräuber beäugten. Doch diese Gedanken waren in vielerlei Hinsicht unangenehm. Ludger Trinklein war also jemand, der die vierjährige Tochter vergewaltigte. Am Freitag, also morgen, es war ja schon nach Mitternacht, sollte also der Prozeß sein, vorausgesetzt, Theresa Trinklein-Sparwasser log nicht. Herr Schweitzer versuchte vergebens, sich Trinklein als Pädophilen vorzustellen. Bislang hatte er kein Falsch in seinem Tun entdecken können. Andererseits sehen Menschen meist nicht nach dem aus, was sie zu sein scheinen. Vielleicht war das generell so eine Art Tarnung, die es ihnen erlaubte, ihr Leben so einigermaßen über die Runden zu bringen.
Der Bankräuber stand auf. Im ersten Moment dachte Herr Schweitzer, dieser würde nun seine Exfrau erschießen. Doch Trinklein ging seelenruhig hinter den Schalter, wo er sich auf den Boden setzte und aus dem Blickfeld verschwand. An einer Bewegung des Seiles glaubte Herr Schweitzer zu erkennen, daß der Geiselnehmer die Festigkeit des Knotens überprüfte. Niemand traute sich etwas zu sagen. Es war, als wäre eine metaphorische Bombe geplatzt. Und Herr Schweitzer wußte nun so sicher wie das Amen in der Kirche, es war nun endgültig keine bloße Vermutung mehr, daß dies kein Bankraub mehr sein konnte. Und wenn das stimmte, was Theresa Trinklein-Sparwasser gesagt hatte, dann war Ludgers Leben keinen Pfifferling mehr wert. Außerdem hatte er sich, was ein Leichtes gewesen wäre, auch nicht gegen diese Anschuldigungen gewehrt. Hatte seine Ex einfach reden lassen, obwohl die Sympathien bis dahin eindeutig auf seiner Seite waren. Und das, obwohl er ihrer aller Leben bedrohte.
All diese Gedanken, gepaart mit dem bereits Geschehenen und jenem ganz persönlichen Gefühl, das ihn selten trog, ließen Herrn Schweitzer erschaudern. Die Gefahr war offenbar weitaus größer als er sie je eingeschätzt hatte. Streng betrachtet konnte alles nur in einem Exitus triumphalis enden, einem spektakulären Abgang. Und was das bedeutete, mochte er sich nicht vorstellen. Auch in den Gesichtern der anderen spiegelte sich die nackte Angst. Selbst ein Amoklauf war von nun an einzukalkulieren. Und wo es viele Tote gab, konnte man leicht dazugehören, gerade wenn es wenig Auswahl an Erschießbarem gab.
Natürlich verlor Herr Schweitzer nicht die Nerven, das hatte er noch nie getan, aber trotzdem breitete sich ein Gefühl in ihm aus, das ihm fremd war. Es war keine reine Angst. Eher so ein Gemisch aus einem Adrenalinschub, dem Wissen um die Tatsache, daß das Leben bei dem kleinsten Fehler verwirkt sein konnte, ein wenig Angst, natürlich, aber auch Stolz, einfach nur dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wurde. Er wußte, daß gerade der Stolz auf andere Menschen
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