Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
hatte etwas beruhigend Harmonisches. Doch in seinem überreizten Zustand war an Schlaf kaum zu denken.
Gegen zwei Uhr wurde der Anwalt Ludger Trinkleins von zwei Polizisten in die Einsatzzentrale am Schweizer Platz geführt. Er sah allerdings aus, als könnte man ihn für heute abschreiben. Tränensäcke so groß wie Zeppeline ohne Gas und kirschrote Augen sprachen energisch gegen einen soliden Lebenswandel des Advokaten. Eine silbergraue Krawatte mit Rautenmuster hing gelöst über dem Hemdkragen und verbarg nur spärlich rötliche Flecken auf dem hellblauen Hemd. Annie Landvogt vermutete Rotwein als Ursache, es könnte sich aber auch um Spaghettisauce oder Blut handeln. Seine Brille hatte in der linken oberen Hälfte einen Sprung, der bis ans vergoldete Gestell reichte, das einzige im Erscheinungsbild, das auf bessere Zeiten schließen ließ.
„Guten Morgen, Herr ...“, die Oberkommissarin nahm einen Zettel zur Hilfe, „... Herr Hagenkötter. Das stimmt doch, oder?“
„Ja.“
„Sie sind der Anwalt von Ludger Trinklein?“
Doch der Advokat sah sich interessiert im Wohnzimmer des Rentnerehepaars Blau um. Reine Routine, denn oft erkannte man an der Einrichtung die Honorarhöhe. An einer barocken Standuhr, Eiche, blieb sein Blick haften. „So spät schon?“ Die klare Aussprache widersprach seinem Aussehen auf wohltuende Weise.
Annie Landvogt war seinem Blick gefolgt. „Ja, so spät schon.“
„Verdammich, ich habe morgen um neun einen Termin beim OLG.“
„Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Erzählen Sie mir was über Ludger Trinklein.“
„Ludger wer?“
„Trinklein. Ludger Trinklein, Sie sind sein Anwalt.“
Keine Reaktion. Aufreizend langsam furchte sich Hagenkötters Stirn. Vergebens, das Erinnerungsvermögen war blockiert. Um Zeit zu gewinnen sagte er: „Trinklein, der Name sagt mir was.“
„Sollte er auch. Immerhin vertreten Sie ihn am Freitag.“
„Am Freitag?“
„Ja.“
Blöde Kuh. Wenn sie wenigstens gesagt hätte, um was es geht. Mit Namen hatte er in letzter Zeit so seine Probleme. Präziser ausgedrückt seit zwei Jahren, als seine fünfzehn Jahre jüngere Freundin mit einem Handelsvertreter durchgebrannt war. Auf und davon, einfach so. Mit einem Handelsvertreter, hat man da noch Töne.
„Herr Hagenkötter ...“
„Ja. Ach so. Entschuldigen Sie mich, ich war gerade woanders.“
„Ludger Trinklein. Hat angeblich seine Tochter vergewaltigt. Der Prozeß ist morgen. Sie müssen doch wissen, um was es da geht.“
„Natürlich weiß ich das. Klar, Ludger Trinklein.“ Der Anwalt war unschlüssig, was er erzählen sollte. Was erwartete die Dame eigentlich von ihm? Sicherheitshalber sagte er: „Aber das ist Anwaltsgeheimnis.“ Manchmal zog das.
„Das weiß ich. Hören Sie ...“ Und Annie Landvogt erklärte ihm die Situation, daß dieser Trinklein da drüben zwei Handvoll unschuldige Menschen in seiner Gewalt hatte, daß sie unbedingt wissen müsse, wer dieser Trinklein sei, ob er zur Gewalt neige, was Hagenkötter für einen Eindruck habe. Ja, sie wisse um den gesetzlichen Schutz seines Mandanten nur allzugut Bescheid. Aber es ist nun mal nicht zu ändern, die Geiseln haben ein Recht auf Leben, ob er das nicht auch so sehe? Und dazu sei es unbedingt nötig, alles über den Geiselnehmer in Erfahrung zu bringen.
Der Anwalt, der privat einer jeden Bataille aus dem Wege ging, hatte verstanden. Sehr gut sogar, auch wenn die Oberkommissarin noch nicht mal eine Drohung zwischen den Zeilen versteckt hatte, so wie das ihre Kollegen so gerne taten. Das machte sie ihm direkt sympathisch. Denn das Anwaltsgeheimnis war durchaus dehnbar. Als Rechtsanwalt stand man gewöhnlich mit einem Bein im Gefängnis und die Gegenseite wußte das. Selbstverständlich war er zur Zusammenarbeit bereit, allerdings nicht vor all den anderen Polizeibeamten, die hier herumwuselten. Ein wenig Restwürde sollte man ihm schon noch zugestehen. Hagenkötter wollte auf Nummer Sicher gehen und gab dies Annie Landvogt durch entsprechende Mimik auch zu verstehen. Sie verließen das Zimmer.
Im Flur fragte die Oberkommissarin, ihrem Tonfall eine deutliche Dosis Dringlichkeit beimischend: „Also?“
Hagenkötter straffte die Schulter und erzählte. Dabei legte er eine Plastizität in seine Schilderung, daß die Oberkommissarin den Bankräuber förmlich vor sich sah. Und wenn des Anwalts Ausführungen nur halbwegs hielten, was sie versprachen, dann mochte der Trinklein sein, was immer möglich war, aber in
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