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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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erkannten die Bilder als irreal, meist auf den ersten Blick, ein paar Mal, indem sie an der Realität gemessen wurden (»Mitten im Winter stehen doch keine Kühe auf der Weide?«). Alle konnten die Bilder auch wieder verschwinden lassen, meist durch kurzes Blinzeln oder Schließen der Augen. Niemand konnte die Bilder aktiv aufrufen oder deren Inhalt steuern. Für nahezu jeden waren die Bilder emotional neutral, als hätten sie nichts mit ihrem jetzigen Leben zu tun. Die Vorstellungen in den Bildern hatten nichts Bedrohliches, auch wenn das Sehen der Bilder manchmal ein Grund zum Ärger oder zur Sorge über die eigene Geistesverfassung war.
    Lediglich eine kleine Minderheit der untersuchten Personen würde die Einnahme von Medikamenten in Erwägung ziehen, wenn dadurch die Bilder nicht mehr auftauchten (solche Medikamente gibt es übrigens nicht). Drei Viertel der Befragten hatten ihre Erfahrungen verschwiegen, selbst dem Partner. Doch auch
    Haus- oder Augenarztbesuche führten meist zu nichts: nur ganz selten wurde die richtige Diagnose gestellt. Eine Frau hatte von ihrem Psychiater prompt Neuroleptika verschrieben bekommen, welche die Bilder nicht unterdrückten.
    Die Interviews vermittelten auch einen Eindruck davon, welche Umstände das Erscheinen der Bilder begünstigten. Meistens kamen diese abends oder nachts, in der Dämmerung, in der vertrauten Umgebung des eigenen Hauses, in einem Moment, in dem man mit nichts aktiv beschäftigt war. Auch Müdigkeit schien Bonnet-Bildern Vorschub zu leisten. Als Gruppe wichen die Patienten mit Bonnet-Bildern in mancherlei Hinsicht von der Kontroll-gruppe ab. Sie nahmen häufiger Medikamente mit Betablockern ein. Sie gaben auch häufiger an, einsam zu sein. Sie erzielten weniger Punkte auf einer Skala für extrovertiertes Verhalten, das heißt, dass sie sich beim Knüpfen neuer sozialer Kontakte passiv verhielten. Andere Faktoren wie Ausbildungsniveau, Geschlecht, Wohnumstände, psychiatrische Störungen oder neurologische Leiden waren offensichtlich nicht relevant.
    Teunisses Arbeit hat viel zur Klärung dessen beigetragen, wie Bonnet-Bilder erfahren werden, welche Umstände ihre Entstehung fördern und welche Faktoren gegebenenfalls damit verbunden sind. Der prototypische Bonnet-Patient, der aus dieser Untersuchung hervortritt, ist ein älterer Mensch mit stark eingeschränkter Sehleistung. Lesen ist fast nicht mehr möglich. Es ist ein wenig still um ihn geworden. Er wohnt allein. Er hat nicht mehr die Energie oder die Lust, auszugehen oder Leute zu besuchen. Auch selbst erhält er wenig Besuch. Seine Tage verstreichen in ruhiger Wiederholung. Sobald die Dämmerung einbricht und er sich ein wenig schläfrig zu fühlen beginnt, verschwimmt die Außenwelt und dann kommen die Bilder. Sie beunruhigen ihn nicht, er sieht, dass sie nicht echt sind, er kann sie auch wieder verschwinden lassen - ein kurzes Blinzeln und sie sind weg. Dennoch behält er seine Erfahrungen lieber für sich, denn ein bisschen seltsam ist es schon. Er möchte nicht gern den Eindruck erwecken, ein wenig verrückt zu sein.
    AUGE UND GEHIRN
    Die Erklärungen für das Bonnet-Syndrom sind fast ebenso vielfältig wie die Bilder selbst. Recht erfinderisch ist die Hypothese, die Liliputanerbilder seien die Folge von Regression: Der Patient sehe Personen in Kindergröße wie Abbildungen in einem Kinderbuch, und alle Gegenstände hätten ein angenehmes Spielzeugformat. Aber Makroskopie kommt bei Bonnet-Bildern ebenso oft vor wie Mikroskopie und auch ein Phänomen wie Autoskopie passt nicht in diese Hypothese. Flynn, ein psychoanalytisch inspirierter Autor, meinte, das sich verschlechternde Sehvermögen löse den Patienten von der wahrnehmbaren Realität, wodurch Raum für die Produkte seiner Fantasie entstehe. 24 Das Ego verteidige sich im Alter, indem es eine Ersatzwelt schaffe, gefüllt mit spaßigen Szenen zum Ausgleich für den sich abzeichnenden eingreifenden Verlust. Erklärungen wie Regression und Abwehr teilten das Schicksal der Theorien, von denen sie abstammen: sie sind allmählich aus der psychiatrischen und neurologischen Literatur verschwunden. Den Hypothesen der letzten dreißig Jahre ist gemein, dass sie die Ursache in neurophysiologischen Faktoren suchen. Sie unterscheiden sich nur im Ursprungsort der Bilder, also darin, ob sie im Auge oder im Gehirn entstehen.
    Das Bonnet-Syndrom ist fast ausnahmslos mit Schäden an beiden Augen verbunden. Der Grund scheint nicht viel auszumachen. Grauer Star,

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