Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Assoziationen nichtverbaler Reize zuständig ist.
Die Übereinstimmungen zwischen Musikhalluzinationen und Bonnet-Bildern sind offensichtlich. Sie zeigen sich bei älteren Menschen mit schwindendem Hör- oder Sehvermögen, oft bei Alleinstehenden. Eine weitere Übereinstimmung ist, dass die Musik-
Halluzinationen nicht allmählich entstehen, sondern plötzlich da sind und eine Weile anhalten, meist einige Monate. Kein Patient fühlt sich durch die Halluzinationen bedroht. Aber es gibt auch Unterschiede. Anders als Bonnet-Bilder sind Musikhalluzinationen nicht zu vertreiben, nicht einmal durch andere Musik (während es unter normalen Umständen unmöglich ist, auch nur an andere Musik zu denken, während man einer bestimmten Musik zuhört). Bonnet-Bilder reagieren nicht auf Medikamente, Musikhalluzinationen sehr wohl. Ein weiteres faszinierendes Detail ist, dass Musikhalluzinationen mit Erinnerungen an früher gehörte Musik verbunden zu sein scheinen, während Bonnet-Bilder oft einen fantastischen Charakter haben. Ganz selten kann jemand auch Bonnet-Bilder und Musikhalluzinationen haben. Eine sechsundachtzigjährige Frau litt an beiden Augen am Star und begann ab dem ersten Weihnachtstag 1985 Kinder zu sehen. 35 Es waren klassische Bonnet-Bilder: Sie kamen, wenn die Dämmerung anbrach, die Kinder sprachen nicht und flößten ihr auch keine Angst ein. Später sah sie einen Zirkus, komplett mit Arena, Lichtern und Vorstellungen. Die Szene erinnerte sie an ihre Kindheit. Irgendwann hörte sie auch die Musik, die zu der Vorstellung passte. Sie genoss diese abendlichen Vorstellungen sehr. Das Einzige, was ihr nicht gefiel, war der Stallmeister: Sie war davon überzeugt, dass er sie verfolgte. Solange der Zirkus spielte, traute sie sich nicht zur Toilette, weil sie sah, dass er sie beobachtete, während sie sich auszog. Bei näherer Untersuchung stellte man einen deutlichen Gehörverlust auf beiden Ohren fest.
DAS GEHIRN ALS THEATER
Flournoy schrieb 1902, er und seine Kollegen seien mit ihren Erklärungen nicht viel weiter als Bonnet im Jahre 1760. Noch einmal hundert Jahre später zieht Teunisse in den letzten Zeilen seiner Dissertation den Schluss, beim Bonnet-Syndrom handle es sich größtenteils noch um ein Mysterium. Es gibt Meinungsverschiedenheiten über die Frage, an welcher Stelle der Strecke zwischen
Auge und Gehirn die Bonnet-Bilder genau entstehen. Niemand kann mit Sicherheit angeben, welche Faktoren oder welche Kombination von Faktoren sie verursachen. Es ist unmöglich, die kausalen, vermittelnden oder erleichternden Faktoren zu unterscheiden. Die Kriterien für das Syndrom sind nicht festgelegt. Für de Morsier war das Lebensalter ein Teil der Definition des Syndroms. Für Teunisse ist hohes Alter einer der korrelierenden Faktoren -eine Auffassung, die auch die Möglichkeit junger Menschen mit Bonnet-Bildern offen lässt. Die vorgeschlagenen Erklärungen haben alle ihre Schwachstellen. Im Augenblick gibt es keine grand theory über das Bonnet-Syndrom, weder in der Psychiatrie noch in der Neurologie, der Augenheilkunde oder der Wahrnehmungspsychologie.
Aber es gibt mehr als nichts. Zum Beispiel die anregenden kleinen Befunde, die Hinweise darauf geben, wo weiter gesucht werden kann. Ein Patient mit Schäden am visuellen Assoziationskortex berichtete über bonnetartige Bilder. Schon 1931 zeigte sich, dass elektrische Reizung eines Gebiets, das unter der Bezeichnung V19 bekannt ist und zum visuellen Assoziationskortex gehört, Bonnet-Bilder verursachte. 36 Vielleicht kommen Bonnet-Bilder, so flüchtig sie auch sein mögen, irgendwann einmal in den Bereich bildgebender Techniken, damit präziser lokalisiert werden kann, wo sie entstehen. Korrelationsanalysen innerhalb großer Gruppen können Beziehungen ans Licht bringen, welche die Aufmerksamkeit auf neue Faktoren lenken. Die von Teunisse ermittelten niedrigen Werte auf der Skala für Extravertiertheit beispielsweise lassen einen Zusammenhang mit dem Aktivitätsniveau des Gehirns vermuten. Es ist schon lange bekannt, dass das Gehirn extravertierter Menschen im Durchschnitt ein etwas niedrigeres Aktivitätsniveau aufweist als das introvertierter Menschen. Das überrascht zunächst: Als Erklärung führt man an, extravertierte Menschen seien zu sehr nach außen gerichtet, um zusätzliche neurologische Stimulanzien zu suchen. Etwas vereinfacht gesagt: Das Gehirn introvertierter Menschen ist von Natur aus schon aktiv genug, das extravertierter Menschen
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