Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
braucht externe Reize. Bonnet-Bilder sind nach dieser Hypothese die Folge eines introvertierten Gehirns, das an ein relativ hohes Aktivitätsniveau gewöhnt ist und seine natürliche Stärke zeigt, wenn unter extremen Umständen visuelle Reize entfallen, indem es aus seinen eigenen Mitteln heraus - aus einer Kombination von Vorstellungen und Erinnerungen - ein Bild nach dem anderen zum Vorschein bringt und zur Betrachtung bereitstellt.
Das ist ein Gedanke, der Charles Bonnet bestimmt gefallen hätte. »Sein Verstand erfreut sich an den Bildern«, schrieb er 1760 über seinen Großvater. »Sein Gehirn ist ein Theater, dessen Maschinerie Szenen zur Aufführung bringt, die umso erstaunlicher sind, als sie der Zuschauer insgesamt nicht erwartet hat.« 37
EIN QUÄLENDER ZITTERKREISLAUF DIE PARKINSON-KRANKHEIT
An einem Sonntagnachmittag kurz vor Weihnachten des Jahres 1824 erlitt James Parkinson einen Schlaganfall, der ihn rechtsseitig lähmte und der Sprache beraubte. Er war in seinem siebzigsten Lebensjahr, und als Arzt muss er gewusst haben, dass die Heilungschancen denkbar gering waren. Sein Sohn John William, mit dem er in London eine Arztpraxis führte, wie einst Parkinson selbst mit seinem Vater, pflegte ihn mit größter Hingabe, aber auch er konnte wenig ausrichten. Mit einem kurzen Brief unterrichtete er den Pfarrgemeinderat der St.-Leonards-Kirche vom Tod seines Vaters am Vormittag des 21. Dezember. Im Sitzungsprotokoll sprach der Gemeinderat James Parkinson seinen Dank aus für die medizinischen Dienste, welche dieser den Gemeindemitgliedern erwiesen hatte. In Abhandlungen der medizinischen Gesellschaften, denen Parkinson angehört hatte, wird sein Todestag erwähnt. Ausführliche Nachrufe erschienen nicht. Dass James Parkinsons Leben zu Ende gegangen war, fand Erwähnung
- gedacht wurde seiner nicht. 1
Der Ruhm, den sich Parkinson während seiner langen und arbeitsreichen Laufbahn erworben hatte, war schnell vergangen. Er war Mitbegründer diverser wissenschaftlicher Gesellschaften gewesen, die sich dem Studium der Heilkunde und der Geologie, seiner zweiten großen Leidenschaft, widmeten. Er hatte Handbücher über Chemie und Fossilien verfasst, die mehrmals aufgelegt wurden, hatte für eine breitere Leserschaft ein Hausbuch mit medizinischen Ratschlägen für die Familie veröffentlicht, war ein berüchtigter Pamphletist zu sozialpolitischen Fragen gewesen, und auf seiner langen Publikationsliste prangen Bücher und Artikel zu ganz unterschiedlichen Themen: Gicht, gefährliche Sportarten, gesetzliche Bestimmungen für Irrenanstalten, Wiederbelebung nach Blitzschlag. Die Fossiliensammlung, die er selbst angelegt hatte und die als eine der besten des Landes galt, wurde nach seinem Tod bei einer Versteigerung in alle Winde verstreut. Die meisten Fossilien gingen an ein geologisches Museum in Amerika, wo sie schließlich zusammen mit dem Museum Opfer eines Brandes wurden. Von Parkinson gibt es kein Porträt, sein Geburtshaus wurde abgerissen, sein Grabstein entfernt. Nur eine einzige Notiz über Person und Aussehen ist uns überliefert, fast zufällig: Der Geologe Gideon Mantell beschrieb 1850, wie er einst in seinen Jugendjahren um Erlaubnis gebeten hatte, Parkinsons Fossiliensammlung anschauen zu dürfen. »Mr. Parkinson war von ziemlich kleiner Statur, er hatte einen flinken Verstand, ein freundliches Gesicht und angenehme, höfliche Manieren.« 2 Manteil erinnerte sich vierzig Jahre später voll warmer Worte, wie bereitwillig Parkinson sein Wissen mit ihm geteilt hatte, während sie an den Sammlungsstücken entlanggeschlendert waren.
Dass es jemals eine >Parkinson-Krankheit< geben würde, hatte Parkinson unmöglich ahnen können. 1817 hatte er seinen Essay on the Shaking Palsy veröffentlicht, in dem er die Mehrzahl der klassischen Symptome beschrieben hatte. 3 Die Krankheit selbst aber hatte er als >shaking palsy< oder >paralysis agitans< bezeichnet, palsy aufgrund der Muskellähmung, shaking nach dem so auffälligen Tremor. Erst 1876, zwei Generationen später, wurde die Krankheit nach Parkinson benannt. Das einzige Eponym, dessen Ruhm Parkinson noch zu Lebzeiten auskosten konnte, war der Parkinsonia parkinsoni, ein fossiler Ammonit aus dem Mitteljura, der ein Jahr vor seinem Tod in einem Handbuch über Fossilien eingeführt wurde.
PARKINSON ft SON
James Parkinsons gesamtes Leben spielte sich im Umkreis weniger Quadratmeilen um die Pfarrei St. Leonard in der Gemeinde Hoxton ab. In den Pfarrregistern
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