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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Patienten. 1 Es handelte sich um einen Mann Anfang dreißig - Damasio nannte ihn >Elliot< in dessen Hirnhaut sich direkt über der Nasenhöhle ein schnell wachsender Tumor gebildet hatte. Das Geschwür drückte von unten auf beide Frontallappen der Großhirnrinde (Cortex) und musste entfernt werden. Der Tumor erwies sich als gutartig, und aus medizinischer Sicht standen Elliots Heilungschancen ausgezeichnet. Dennoch lief in seinem persönlichen Leben nach der Operation vieles schief. Elliot war bei einer Handelsfirma beschäftigt. Nach der Rückkehr an seinen alten Arbeitsplatz fiel ihm die Koordination seiner Aufgaben schwer. Er hatte jegliches Gefühl für Priorität verloren. Wiederholte Ratschläge und Warnungen von Kollegen ignorierte er und wurde schließlich entlassen. Danach stürzte er sich in geschäftliche Abenteuer. Nach einer unbesonnenen Investition war er bankrott. Seine Ehe wurde geschieden, ebenso wie eine kurz darauf geschlossene zweite Ehe. Innerhalb weniger Jahre war er persönlich wie finanziell am Ende. Als man ihm eine Sozialleistung verweigerte - physisch war er schließlich gesund und auch seine mentalen Fähigkeiten wirkten intakt -, konsultierte er Damasio, in der Hoffnung, dieser könne ihm erklären, sein jetziger Zustand sei durch ein neurologisches Leiden verursacht, womit er Anspruch auf eine Invalidenrente hätte.
    Hirnscans zeigten, dass sowohl der rechte als auch der linke Stirnlappen bei der Operation in Mitleidenschaft gezogen worden war, und dass die Schädigung im rechten weitaus größer war als im linken. Viele Areale waren jedoch intakt geblieben, wie die vorderen Cortexbereiche, die an Sprache, Gedächtnis und Muskelbeherrschung beteiligt sind. Neurologische Tests, die Damasio an seinem Patienten durchführte, zeigten dieselben Muster. Seine geistigen Fähigkeiten waren nicht angegriffen: bei einem IQ-Test erzielte er weit überdurchschnittliche Werte. Es fiel Damasio jedoch auf, dass Elliot die Wende, die sein Leben nach der Operation genommen hatte, beschrieb, als wäre sie nicht ihm selbst, sondern einem Dritten geschehen. Scheidung, Bankrott, Entlassung - er sprach ausdruckslos und unbewegt darüber, wie ein neutraler Außenstehender. Nach einem Test, der ihn mit emotional geladenen Reizen konfrontierte, wie Bildern von Ertrinkenden oder brennenden Häusern, gab Elliot selbst an, er merke, dass Ereignisse, die ihn früher sehr berührt hätten, nun keine Gefühle mehr auslösten.
    In Descartes Irrtum präsentierte Damasio noch verschiedene andere Patienten mit präfrontalen Cortexläsionen, bei denen die geistigen Fähigkeiten verschont worden waren, während sie in ihrem persönlichen Leben Entscheidungen trafen, die darauf hinwiesen, dass etwas mit ihrem Gefühlshaushalt nicht stimmen konnte. Dieses spezifische Muster bei präfrontalen Schädigungen
    - intakte kognitive Fähigkeiten und gestörte emotionale Reaktionen - erhielt von Damasio das Eponym >Gage-Matrix<. 2 Unter den Tausenden von Eponymen innerhalb der Medizin verweist lediglich eine Handvoll auf Patienten, darunter die Gage-Matrix.
    »THIS MELANCHOLY AFFAIR«
    Die Geschichte gehört zu den klassischen Fällen der neurologischen Literatur. Im Sommer 1848 ist der fünfundzwanzigjährige Phineas Gage mit Gleisbauarbeiten an einer Eisenbahnlinie im amerikanischen Vermont beschäftigt. 3 Er ist Vorarbeiter eines Trupps, dessen Aufgabe es ist, die Strecke freizuräumen, damit die
    Gleise ungehindert verlegt werden können. In der Nähe des Städtchens Cavendish liegt ein großer Felsblock im Weg, und Gage, der die Arbeiten beaufsichtigt, beschließt ihn zu sprengen. Die Vorgehensweise ist immer dieselbe. Gage lässt ein Loch bohren und füllt es zur Hälfte mit Sprengpulver. Er versieht das Loch mit einer Zündschnur. Um zu vermeiden, dass die Kraft der Explosion über das Bohrloch entweicht, wird das Pulver mit Sand abgedeckt. Danach stampft er den Sand mit einem Eisenstab fest. Diesen Stab hat er selbst bei einem Schmied anfertigen lassen. Er ist gut einen Meter lang, drei Zentimeter dick, spitz und rund dreizehn Pfund schwer.
    Am späten Nachmittag des 13. September geht jedoch etwas schief. Gage hat gerade Pulver und Zündschnur im Loch verstaut, als jemand hinter ihm etwas ruft. Er schaut über seine rechte Schulter, ist kurz abgelenkt und beginnt, obwohl der Sprengstoff noch nicht mit Sand abgedeckt ist, mit seinem Stab im Loch zu stampfen. Die Sprengladung explodiert ihm ins Gesicht. Der Stab tritt durch

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