Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Nachtruhe zurückgegeben. Die empfohlene Dosierung lag bei einer halben Stunde pro Tag. Leider verstarb Jegu plötzlich - und kein Jahr darauf auch Charcot völlig überraschend, durch Herzstillstand während einer archäologischen Reise. Die Weiterentwicklung dieses therapeutischen Instruments musste von einem anderen fortgeführt werden: Gilles de la Tou-rette.
In einer Vorlesung am 19. November 1876 verlieh Charcot der Krankheit das Eponym >Parkinson<. 32 Die Bezeichnung >paralysie agitante< gefiel ihm aus zwei Gründen nicht: Von einer Lähmung oder auch nur einer Schwächung konnte nicht immer die Rede sein, denn Versuche mit einem Dynamometer zeigten, dass selbst in einem stark zitterndem Arm die Muskeln einen Großteil ihrer Kraft bewahrten, und das >agitante< stimmte nicht, weil manche Patienten zwar alle Symptome der Krankheit aufwiesen, wie gekrümmte Haltung, maskenhaftes Gesicht und Muskelstarre, nicht aber den Tremor. Es wäre merkwürdig, fand Charcot, wenn der Name einer Krankheit auf ein Charakteristikum verwies, das fehlen konnte. Aus diesem Grunde schlug er vor, das Leiden als >maladie de Parkinson« zu bezeichnen.
SCHWARZER KERN
Die Pariser Studien zur Parkinson-Krankheit würde man heute als Forschungsprogramm bezeichnen: Diverse Schüler Charcots promovierten darüber. Die Neurologe Keppel Hesselink hat die Forschungsgeschichte der Parkinson-Krankheit dokumentiert. 33 In seiner Chronik fällt auf, dass die im Nachhinein als zentral erkannten Hypothesen schon sehr früh formuliert, jedoch erst spät bestätigt wurden. Bereits 1895 vermutete Charcots Schüler Edouard Brissaud, die Ursache der Krankheit sei in einer Beschädigung jenes Gehirnbereichs zu suchen, der nach der dunklen Pigmentierung der Zellen als substantia nigra oder >schwarzer Kern< bezeichnet wurde. Erst 1919, ein Vierteljahrhundert später, fand Constantin Tretiakoff nach zahlreichen Autopsien Bestätigung für die Nigra-Hypothese. Tretiakoff schrieb seine Doktorarbeit in Paris, doch das Zentrum der Forschungen verlagerte sich nach Deutschland, das im Bereich der Neuropathologie großes Ansehen genoß. In Alzheimers Labor in München fand Levy - nach seiner Emigration nach Amerika: Lewy - im Gehirn von Parkinson-Pa-tienten pathologische Eiweißablagerungen, die heute als >Lewy-bodies< bekannt sind.
Seit 1953 wird die Parkinson-Krankheit auf Dopaminmangel zurückgeführt. Dopamin ist verantwortlich für die Reizübertragung zwischen Neuronen. Der Neurotransmitter wird in der substantia nigra hergestellt. Bei Parkinson-Patienten büßen die Zellen in diesem Gebiet ihre Aktivität ein. Ohne Reiz werden die Muskeln steif und verkrampfen sich, mit den augenscheinlichen Folgen für Haltung und Motorik. Mit dem Wissen um den Ursprungsort, den Stoff und die Auswirkungen dachte man, nun würde sich ein ganzes Spektrum von Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, doch heute, ein halbes Jahrhundert später, muss man erkennen, dass die Versprechungen der Fünfzigerjahre nicht eingelöst werden konnten. Direkte Zugabe von Dopamin ist nicht möglich, da es von der Blut-Hirn-Schranke abgewehrt wird, jenem feinverästelten System von Gefäßen und Zellen, welches das Blut filtert, ehe es in das Gehirn gelangt. In den Sechzigerjahren hat man festgestellt, dass der Stoff Levodopa (L-Dopa) diese Schranke überwinden kann. L-Dopa wird im Gehirn in Dopamin umgewandelt und bildet bis heute die Grundlage für unterschiedliche medikamentöse Behandlungen der Parkinson-Krankheit, doch bei Langzeitanwendung büßt es seine therapeutische Wirkung ein. Andere Medikamenttypen blockieren entweder Stoffe, die Dopamin abbauen, oder führen gerade Stoffe zu, die sich mit Dopaminrezeptoren verbinden und so die Wirkung von Dopamin nachahmen. Der Stoff Amantadin scheint die unwillkürlichen Bewegungen von Parkinson-Patienten zu dämpfen, eine Zufallsentdeckung, denn er wurde ursprünglich als Antigrippemittel verschrieben. Man versuchte, starke Tremores mit chirurgischen
Eingriffen zu unterdrücken, indem man absichtlich jene Strukturen beschädigte, welche für die Motorik verantwortlich sind. Nach der Entdeckung von L-Dopa wurde dieser Weg kaum mehr weiterverfolgt, in jüngster Zeit aber hat man erneut experimentelle Operationen bei Patienten durchgeführt, die auf die herkömmliche medikamentöse Behandlung nicht ansprechen. Vielversprechend schien die Implantation von lebendem Gewebe in das Gehirn von Parkinson-Patienten, da man hoffte, auf diese Art und Weise
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