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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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würde wieder Dopamin hergestellt. Die Experimente wurden in den Achtzigerjahren in Schweden und China durchgeführt. Da das Gewebe von abgetriebenen Föten stammte, mussten die Versuche allerdings zunächst eingestellt werden, seit 1993 sind sie aber unter bestimmten Auflagen wieder erlaubt. Es zeigte sich jedoch, dass die Implantationen nur geringen und lediglich temporären Effekt haben. Neueren Datums ist die Behandlung von bestimmten Gehirnzentren mit elektrischen Reizen, bei der dem Patienten eine Batterie in der Größe einer Zigarettenschachtel unter dem Schlüsselbein implantiert wird, die er mit einem Magneten ein- oder ausschalten kann. Die Reizung des Thalamus kann innerhalb weniger Sekunden einen starken Tremor beenden. Möglicherweise beruht der Effekt darauf, dass jene Zellen gelähmt werden, die durch ihre Überaktivität den Tremor verursachen. Die Behandlung klingt wie ein fernes Echo auf Charcots Empfehlung, sich - wenn möglich - mit »konstantem Strom« zu behelfen. James Parkinson schrieb 1817, er hoffe, »dass in Kürze eine Heilmethode entdeckt werden wird, durch die zumindest das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten« werde. 34 Genau in dieser Situation befinden wir uns jetzt - fast zweihundert Jahre später: Heute gibt es Medikamente und Eingriffe, die Symptome abschwächen und Beschwerden lindern, kurz, der Krankheit Widerstand entgegensetzen, ohne sie zu heilen.
    Im Nachwort zu einer Sammlung historisch-neurologischer Studien schreibt Keppel Hesselink, bei der Abgrenzung der Parkinson-Krankheit aus einer diffusen Gruppe von Lähmungen habe der »Archetypus« des Krankheitsbildes eine große Rolle gespielt: »Parkinson, Duchenne und Charcot sahen als Erste, was man in der Zeit vor ihnen nicht gesehen hatte, nämlich jene eigenen Krankheitsbilder. Krankheitsbilder, die durch verschwommene Konzepte dem Auge entzogen waren.« 35 Damit spielt er auf den Titel seines Buches an: Beeiden in de mist, verschwommene Bilder. Doch die Metapher der unklaren Form, die allmählich deutlichere Züge annimmt, passt nicht zur Geschichte der Parkinson-Krankheit, auch nicht in der Darstellung von Keppel Hesselink selbst. Parkinson sah im Ruhetremor ein charakteristisches Merkmal der >shaking palsy<. Charcot zufolge konnten Patienten auch ohne Tremor an der >maladie de Parkinson< leiden - eine Annahme, die spätere Untersuchungen bestätigt haben: ein Viertel der Parkinson-Patienten entwickelt keinen Tremor. Parkinson erwähnte keine Muskelstarre, Charcot hingegen rechnete die Starre zu den Kardinalsymptomen. Starke Emotionen, für Charcot ein wichtiger Faktor beim Entstehen der Krankheit, spielen in aktuellen Theorien keine Rolle mehr, auch wenn Stress die Symptome verstärken kann. Unterschiedliche Neurologen - und Generationen von Neurologen - sehen eher ein immer wieder anderes Bild als ein und dasselbe Bild immer deutlicher.
    Aber die Variationen befinden sich vor allem auf Seiten der medizinischen Wissenschaft, der Definitionen, Symptome, Theorien und beim Sortieren dessen, was primär ist und was sekundär, wesentlich oder begleitend - für den Patienten ist der Vergleich mit dem Archetypus durchaus zutreffend. Aufgrund dieses Archetypus konsultiert jemand seinen Facharzt, der nach neurologischen Untersuchungen diagnostiziert, was man bereits vermutet hatte. Und aufgrund dieses Archetypus würde James Parkinson heutige Patienten auf den ersten Blick erkennen. Trotz der medikamentösen Behandlung hat sich an ihrem Gang, der Haltung, ihren Beschwerden und Bewegungen nahezu nichts verändert, sie bieten noch dasselbe Bild wie die Patienten, die er zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts durch die Straßen von Hoxton schlurfen sah.
    Hoxton selbst würde er übrigens nicht mehr erkennen. Als Stadtteil im East-End erlebte es nach dem Zweiten Weltkrieg nach eineinhalb Jahrhunderten Rückstand eine neue Blüte. Die Häuser der kaum mehr bewohnbaren Gegend, die schwer unter den Bombardements gelitten hatten, wurden größtenteils abgerissen. Großzügig angelegte Neubauten, Tennisplätze und Parks haben Hoxton etwas von seiner Schatten spendenden Vergangenheit zurückgegeben. Den Friedhof von St. Leonard hat man planiert und einen Park angelegt, den heutigen Fairchild Garden. Bei dieser Gelegenheit wird auch James Parkinsons Grabstein verschwunden sein.

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