Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Pferd sitzt, das gerade in Trab gefallen ist«. 28 In einem späteren Stadium sei der Patient ruhelos: Wer sitze, wolle stehen, wer stehe, wolle wieder sitzen. Die Krankenschwestern hier, berichtete Charcot, könnten ein Lied davon singen, denn die Patienten, die bettlägerig seien, wollten jede Viertelstunde auf die andere
Seite gedreht werden. Manche Patienten hätten Hitzewallungen, obwohl ihre Körpertemperatur nicht erhöht sei, wodurch sie sich auch im Winter viel zu leicht kleideten. Aber sein wichtigster Zusatz zum klinischen Bild, meint Charcot, sei die Starre des Patienten. Die Spannung in den Muskeln der Gliedmaßen und des Halses nehme zu, die Bauchmuskeln seien dafür am anfälligsten und zögen Kopf und Rumpf nach vorne. Letztendlich würde der Patient ständig gebeugt sitzen oder stehen.
Über die Ursachen der Krankheit konnte auch Charcot lediglich spekulieren. Möglicherweise seien die Patienten über einen langen Zeitraum Feuchtigkeit und Kälte ausgesetzt gewesen. Etwas sicherer war er sich, was den Anteil betraf, den starke Emotionen bei der Entstehung der Krankheit spielten, wie Erschrecken, Angst oder Wut.
Bourneville, einer der Redakteure von Charcots Le^ons, beschrieb in einem Anhang den Fall der zweiundsechzigjährigen Gemüsehändlerin Anne-Marie G. Sie war im Jahre 1872 mit den Symptomen der >paralysie agitante< in La Salpetriere aufgenommen worden. Die Entstehung der Symptome schrieb sie ihrer großen Bestürzung zu, als eines Tages einer ihrer Söhne, ihr Augapfel, zu ihr kam und erzählte, er habe sich zur Armee gemeldet. Kurz darauf habe sie in ihrem rechten Arm eine Schwächung bemerkt, die sich auf andere Gliedmaßen ausbreitete und in Zittern überging. Paul Richer hat die gekrümmte Haltung und die Verformung der Hände zweimal festgehalten, 1874 und 1879.
Eine seiner Patientinnen war mit einem Soldaten der Städtischen Garde verheiratet gewesen. Er war bei den Truppen, die im Juni 1832 den Aufruhr niederschlagen mussten.
Seine Frau hatte bei der Kaserne auf ihn gewartet und sah sein Pferd ohne Reiter zurückkehren. Am selben Tag noch begann das Zittern im rechten Arm. Der Tremor breitete sich schon bald auf andere Gliedmaßen aus. Vergleichbare Fälle waren Charcot öfter begegnet: eine Frau, die im Deutsch-Französischen Krieg fast von einem Geschoss getroffen worden wäre, eine Frau, die einen Sohn bei den Kämpfen der Pariser Kommune verloren hatte. Charcot verwies auch auf den Patienten, an dem von Oppolzer sein Post
mortem vorgenommen hatte: Dessen Tremor war nach heftigem Erschrecken während des Bombardements auf Wien 1848 aufgetreten.
Charcot beschrieb die Symptome der Krankheit so ausführlich, weil diese »auch heute noch in etwa die ganze Geschichte des Leidens ausmachen«. 29 Er selbst hatte einige Autopsien durchgeführt, aber nichts finden können. Keine Verwundungen, keine Abweichungen im Nervensystem. »Die Ausführungen beweisen, messieurs, dass die wirkliche Verwundung der paralysie agitante noch gefunden werden muss.« 30 Er schloss seine Vorlesung mit einer Aufzählung von Medikamenten, die er und andere Mediziner erprobt hatten: Strychnin, Opium, Belladonna, Silbernitrat. Keiner der Stoffe vermochte allerdings anhaltend Linderung zu verschaffen. Andere hatten mit elektrischen Reizen experimentiert. Die Variante, bei der in kleinen Stromstößen statische Elektrizität verabreicht wurde, erwies sich als wenig erfolgreich, doch
konstanter Strom mit Hilfe einer Batterie zeigte positive Auswirkungen. Erst viel später, im Jahr 1892, präsentierte Charcot ein Instrument, das zumindest vorübergehend einen Effekt zu haben schien. Er hatte festgestellt, dass es Parkinson-Patienten nach einer langen Zugreise oder einer Fahrt in einem Fuhrwerk besser ging. In einer klinischen Vorlesung über »medicine vibratoire«, aufgezeichnet von Gilles de la Tourette, berichtete er, Dr. Jegu habe nach seiner Skizze einen Sessel mit einem Elektromotor entworfen, der die Bewegungen eines rumpelnden Zuges simulierte. 31 Nach experimenteller Behandlung von acht Versuchspersonen stellte Charcot fest, dass bereits nach fünf, sechs Sitzungen Besserung eintrat. Auf den Tremor hatte die Rüttelkur zwar keine
Der >fauteuil trepidante< oder >RüttelstuhU, der in La Salpetriere zur Behandlung von Parkinson-Patienten verwendet wurde.
Auswirkungen, aber die Muskelstarre verschwand, die Patienten konnten wieder besser gehen, der >fauteuil trepidante< hatte den Patienten sogar ihre
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