Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
seien getrennt, weswegen er für eine medizinische Wissenschaft verantwortlich sei, die den Körper als eine defekte Maschine betrachtet und dem psychischen Ursprung mancher körperlichen Leiden keinen Blick gönnt, oder, umgekehrt, den psychischen Folgen einer Krankheit. Armer Descartes: Unter dem Stift Damasios ist es ihm nicht viel besser ergangen als Phineas Gage. Diese Darstellung von Descartes, schreibt der Philosoph De Sousa, ermöglicht die abermalige >Entdeckung<, dass Körper und Geist überhaupt nicht getrennt sind und dass dies soeben in einem Labor entdeckt wurde. Breaking news! Neurologische Erzählungen haben sich seiner Ansicht nach zu den Fabeln Asops unserer Zeit entwickelt: »Durch die fast unglaublichen Wunder, die sich den Hohepriestern der Hirnforschung offenbaren, hoffen wir, die tiefsten Wahrheiten über unsere Art und Bestimmung zu erfahren.« 49
Solcherart Hohepriester gibt es mehrere, wenn auch nicht nur in der Gehirn Wissenschaft. Das Muster ist immer wieder dasselbe. Der Autor hat einen großen und verdienten Ruf auf einem spezifischen Gebiet - DNA, Sprache, Genetik, dem präfrontalen Cor-tex. Das ist die Stelle, an der man den Hebel ansetzt und wo sich das Wunder vollziehen wird, durch den einen Mann oder die eine Frau, der oder die unsere Welt aus den Angeln heben wird. Ihre Bücher haben Titel wie The astonishing hypothesis: the scientific search for the soul (Francis Crick, Mitentdecker der DNA-Struk-tur) oder How the mind works (Steven Pinker, Linguist). Charakteristisch ist der große Entwurf, die breite Bogenführung, der weite Blick: Von den präfrontalen Schädigungen sind es offensichtlich nur ein paar Schritte zu einer Philosophie der Emotionen, einer Randbemerkung über die Regime von Mao oder Pol Pot, dem Verhältnis zwischen Körper und Geist, Natur und Kultur, dem Herzen und dem Verstand. Es sind Panoramabücher im altmodischen Mesdagschen Sinn: Man erklettert mit dem Autor eine schmale Wendeltreppe, erreicht eine Plattform, schaut sich um und sieht, dass einem die ersten sieben, acht Meter richtiger Sand zu Füßen liegt. Man dreht sich um seine Achse, es ist nicht zu unterscheiden, wo der Sand in Farbe übergeht. Von der Platt-l form aus sieht man kilometerweit in die Ferne, das Auge schweift über Strand und Meer, Dünen und Polder, Fischerdörfer und Städte am Horizont, man ist verblüfft über die Illusion einer gemalten Realität, die einfach so lotrecht aus dem Sand ragt.
Über die philosophischen und weltanschaulichen Vorwürfe, die Damasio ihm macht, hätte Descartes die Schultern gezuckt. Weder Prinzessin Elisabeth noch der jugendliche Frans Burman hatten unterstellt, dass Körper und Geist getrennt waren. Sie fragten nach dem Wie der Wechselwirkung, nicht nach deren Abwesenheit, sorgfältig den Irrtum Damasios vermeidend. Aber zweifelsohne hätte Descartes das Material genossen, das Damasio und seine Kollegen in Klinik und Labor zu sammeln wussten. Descartes war ein zutiefst neugieriger Mann. Er besorgte sich - um nur ein Beispiel zu nennen - beim Metzger Kuhaugen, um den Weg visueller Reize zwischen Pupille und Netzhaut verfolgen zu können, und entwarf eine Theorie darüber, wie die Bilder auf der Netzhaut anschließend vom Gehirn verarbeitet werden. Während man zu seiner Zeit mit einem Gehirn nicht viel mehr machen konnte, als es zu wiegen, zu messen und durchzuschneiden, haben die Instrumente des heutigen Neurologen - neuropsychologische Tests, Läsionsforschung, EEG, chirurgische oder pharmazeutische Eingriffe, elektrische Cortexreizung, bildgebende Techniken -Welten erschlossen, die Descartes nicht zugänglich waren. Viele dieser Techniken sind übrigens der mechanistischen Orientierung zu verdanken, die Damasio Descartes vorgeworfen hat.
In den Meditations schrieb Descartes über das, was er fand, als er den Blick nach innen richtete. Das Ergebnis dieser Introspektion hätte Damasio als Motto über sein Kapitel über die somatischen Marker stellen können: »Ich bin etwas, das denkt, das heißt, das zweifelt, das etwas bestätigt, das etwas leugnet, das von wenigen Dingen etwas weiß, das vieles nicht weiß, das lieb hat, hasst, etwas will und etwas nicht will, das sich Vorstellungen bildet und Gefühle hat.« 50 Damasios Irrtum ist, dass er in Descartes keinen Bündnispartner erkannte.
Das philosophische Unbehagen über Damasios Anfeindung von Descartes wird keinen Einfluss auf die Akzeptanz der Gage-Matrix als Eponym haben. Neurologen lesen
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