Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
verrichtete er aufgrund einer schwächlichen Konstitution in einem gemächlichen Tempo. Er empfing wenig Besuch und schlief gewöhnlich bis gegen elf Uhr, wobei er sich ab und zu aufrichtete, um einen Einfall zu notieren, wie ein Besucher zu berichten wusste.
ICH DENKE, ALSO BIN ICH
1637 ließ Descartes bei dem Leidener Verleger Jean Maire eine Abhandlung unter dem Titel Discours de la methode drucken. Das Buch erschien anonym, aber jedem, der in der Gelehrtenrepublik zählte, war klar, dass es sich bei dem Verfasser um Descartes handelte. Der Discours enthält die Ausarbeitung seiner Ansichten über die Methode, wahre Kenntnis in Wissenschaft und Philosophie zu erwerben, ergänzt um einige essais oder >Probestücke< über die Anwendung dieser Methode auf Themen wie Lichtbrechung, Geometrie und den Bau des Auges. Sozusagen als Tantiemen erhielt Descartes zweihundert Freiexemplare. Er schickte Exemplare an den König von Frankreich, Ludwig XIII., Kardinal Richelieu, frühere Dozenten und aus dem näheren Umkreis an Constantijn Huygens, P.C. Hooft und andere >personnes de qua-lite<. 35
Als literarischer Text hat der Discours auch nach dreieinhalb Jahrhunderten noch nichts von seiner Frische eingebüßt. Descartes verflocht seine >Lehre< geschickt mit der Darstellung seines Lebens, mal pedantisch, mal bescheiden, und die Geschichte hält das Gleichgewicht zwischen einem philosophischen Traktat und einer Autobiographie. Sie ist in einem trügerisch transparenten Stil verfasst, die dem Discours einen Ehrenplatz in der französischen Literatur sicherte. Descartes eröffnet sein Traktat mit einem Aphorismus: »Der gesunde Verstand ist die am besten verteilte Sache der Welt, denn jeder denkt, so gut damit versehen zu sein, dass selbst diejenigen, die in allen anderen Dingen am schwersten zufrieden zu stellen sind, gewöhnlich überhaupt nicht mehr davon verlangen, als sie haben. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich alle hierin irren.« 36 Descartes fährt fort, die Tatsache der allgemeinen Zufriedenheit bezeuge eher, dass die Fähigkeit, richtig zu urteilen und das Wahre vom Unwahren zu unterscheiden, von Natur aus bei jedem gleich sei. Dass wir manchmal nicht einer Meinung seien, liege also nicht an dem Instrument, mit dem wir denken, dem Verstand, sondern an der Weise, wie wir ihn gebrauchten. Der Verstand müsse geleitet werden. Das erfordere Regeln, Vorschriften und Ausgangspunkte, kurzum, eine Methode, und diese sei er, Descartes, demütiger Diener, bereit, dem Leser anzubieten.
Bei der Entwicklung seiner Methode wollte Descartes nicht das zu Rate ziehen, was seine Vorgänger über Erkenntnis und Wissenschaft geschrieben hatten. Wenn er auf der Bücherweisheit seiner Lehrmeister hätte weiterbauen müssen, würde sein eigenes Werk einer alten Stadt ähneln, die anfänglich aus nichts anderem bestanden habe als ein paar Häusern und die allmählich gewachsen sei, mit verwinkelten, unebenen Straßen. Seine eigene Methode sah der frühere Legionär von Mauritz am liebsten als eine dieser neuen, harmonisch angelegten Festungen, »die ein Ingenieur in freiem Entwurf in eine Ebene zeichnet«. 37 Die Assoziation mit dem geraden, mathematischen Bau einer Festung aus dem siebzehnten Jahrhundert war angemessen, denn Descartes ließ sich bei seinem Entwurf durch die langen Ketten der Ableitungen inspirieren, deren sich die Anhänger der Geometrie bedienten und die von evidenten Axiomen über strenge Definitionen und Beweise zu komplizierten Thesen führten. Die Methode hat einen schrittweisen, deduktiven Verlauf. Die erste Vorschrift besagt, »niemals irgendeine Sache als wahr zu akzeptieren, die ich nicht evidentermaßen als solche erkenne; dies bedeutet, sorgfältig Übereilung und Voreingenommenheit zu vermeiden und in meinen Urteilen nicht mehr zu umfassen als das, was sich so klar und so deutlich meinem Geist vorstellt, dass ich keine Möglichkeit habe, daran zu zweifeln«. 38 Descartes siedelt so das Kriterium von Erkenntnis und Wahrheit im Urteil des Individuums an, in dem, was der persönliche Intellekt als »klar und deutlich« betrachtet, clair et distinct. Der Verstand, nicht die Autorität der Tradition, ist der Schiedsrichter über das, was als Erkenntnis zählt.
Im ersten Grundsatz der Methode liegt eine Frage begründet. Denn welche Erkenntnis ist wirklich unbezweifelbar? Gibt es etwas, dessen wir so sicher sein können, dass es als Anfangspunkt der Ableitung dienen kann ? Das philosophische Äquivalent zu
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