Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Der Geist, abhängig von Gemütsstimmung und Organen: hier spricht kein Dualist.
Auch bei anderen Gelegenheiten hat Descartes sich des Vorwurfs erwehrt, er habe die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist bestritten. Am 16. April 1648 wurde er von Frans Burman befragt, dem zwanzigjährigen Sohn eines Leidener Pfarrers. Burman hatte mehr als siebzig Stellen angestrichen, über die er Aufklärung wünschte. Descartes empfing ihn zu Hause, in Egmont-Binnen, das Gespräch dauerte einen vollen Tag. 42 Im Laufe der Unterhaltung brachte Burman das Verhältnis zwischen Körper und Geist zur Sprache. Er legte Descartes einen Abschnitt aus seinen Meditations vor, in dem steht, die Natur lehre uns durch die Wahrnehmung von Schmerz, Hunger, Durst und so weiter, dass wir nicht allein in unserem Körper anwesend sind wie ein Steuermann auf seinem Schiff, sondern ausgesprochen eng damit verbunden, sozusagen damit vermischt. 43
- Burman: »Aber wie kann das sein? Wie kann die Seele auf den Körper wirken, und umgekehrt, wenn die beiden in ihrer Art so vollkommen unterschiedlich sind?«
- Descartes: »Das ist sehr schwierig zu erklären. Aber hier reicht unsere Erfahrung aus, denn die ist so eindeutig in diesem Punkt, dass es nicht geleugnet werden kann. Das ist offenkundig im Falle von Gefühlen und so weiter.« 44
Mit dem Vergleich vom Steuermann auf seinem Schiff zeigte Descartes auf, dass wir eine Verwundung an unserem Körper nicht so leicht feststellen, wie jemand einen Schaden an seinem Schiff konstatiert, von außen nämlich. Schmerz erfahren wir von innen, dadurch dass unser Geist mit unserem Körper verbunden ist.
Diese Position hatte er auch zuvor schon in seiner Korrespondenz mit Prinzessin Elisabeth eingenommen, der Tochter des Kurfürsten der Pfalz, im Exil Hof haltend in Den Haag. Er hatte ihr seine Principia philosophiae gewidmet - Descartes kombinierte den Ruf eines Einsiedlers mit den Talenten eines Netzwerkers -und hatte ihr bei Erscheinen im Jahr 1644 ein Freiexemplar geschickt. In ihrem intensiven Briefwechsel kam die Prinzessin wiederholt auf das Verhältnis zwischen Körper und Geist zurück. Sie spitzte ihre Fragen auf dieses eine Problem zu: Wie kann zwischen zwei Substanzen, die nichts miteinander zu tun haben, dennoch eine Wechselwirkung bestehen ? Seine Antwort lautet immer wieder, dass diese Verbindung vielleicht unerklärlich sei, dass Gott uns geschaffen habe als Verbindung von Körper und Geist, dass es uns nicht gegeben sei, ihre Vereinigung zu ergründen, aber dass die Wechselwirkung unmöglich geleugnet werden könne. 45 Descartes ging noch weiter: Er schrieb für Prinzessin Elisabeth eine wunderbare kleine Abhandlung über die »Leidenschaften der Seele«, die Passions de l’äme, in der unzählige Beispiele für diese Wechselwirkung zu finden sind. 46 Es geht um die Liebe, die den Puls verstärkt und uns eine zarte Glut in der Brust fühlen lässt, um das Begehren, das unser Herz heftiger berührt als alle anderen Leidenschaften und die Sinnesorgane schärft, um den Hass, der den Puls beschleunigt und eine scharfe stechende Hitze in der Brust verursacht, um den Kummer, der den Puls verlangsamt und uns das Gefühl gibt, das Herz sei eingeschnürt und von Eiszapfen umgeben, die ihre Kälte an den restlichen Körper weiterleiten. 47 Es geht auch um Gesichtsausdrücke, Erbleichen, Erröten, Zittern, in Ohnmacht fallen, die Bildung von Tränen und um den Unterschied zwischen Tränen des Schmerzes und des Kummers, warum manche Kinder blass werden, anstatt zu weinen, warum wir seufzen oder stöhnen, warum Kinder und alte Menschen leicht weinen. Das menschliche Gefühlsleben ist physisch, leiblich. Wer die Spur zurückverfolgt von heutigen Theorien über die Biologie von Emotionen, die Theorie Damasios nicht ausgenommen, landet bei den Passions de l’äme, erschienen im November 1649 bei Elzevier in Amsterdam.
DAMASIOS PANORAMA
Descartes’ Irrtum wurde auch recht umfänglich von professionellen Philosophen rezensiert. 48 Wie das Urteil auch ausfiel - meist reserviert und leicht verletzt aufgrund der Ignoranz von Vielem, was Philosophen schon über den Anteil von Emotionen am Denken vorgebracht hatten -, gemeinsam war den Besprechungen immer wieder der verzweifelte Aufschrei: »Und was ist mit den Passions de l’äme?« Schon diese eine kleine Abhandlung hätte Damasio vor der Karikatur bewahren können, die er von Descartes zeichnete, der zufolge dieser behauptet haben soll, Geist und Körper
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