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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Jahrhunderts bedeutete dies eine noch undifferenzierte Ausübung von Neurologie und Psychiatrie auf einem Arbeitsgebiet, das Krankheiten wie Parkinson und Multiple Sklerose umfasste, aber auch Störungen wie Größenwahn und hysterische Lähmungen. Die Behandlungen reichten von operativen Eingriffen und Elektroschocks bis zu Hypnose und Duschbädern. Gilles de la Tourette hat diesem Repertoire das Seine hinzugefügt. In einer seiner Lehrstunden berichtete Charcot über die erfolgreiche Behandlung von Parkinson-Patienten mit einem >Rüttelstuhl< und anschließend von einem vibrierenden Helm, den Gilles de la Tourette entworfen hatte. 6 Der Apparat hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Leisten, wie ihn Hutmacher verwendeten, fand Charcot, wobei der Helm an einen kleinen Elektromotor angeschlossen war, der sechstausend Umdrehungen pro Minute hatte, was ausreichte, um den Kopf leicht zittern zu lassen. Das sanfte Gebrumm hatte einen einschläfernden Effekt: eine etwa zehnminütige Sitzung gegen sechs Uhr abends, und man konnte sicher sein, in dieser Nacht tief zu schlafen. Der segensreiche Helm konnte also bei Schlaflosigkeit eingesetzt werden, hatte aber auch schon aufziehende Migräneanfälle unterbrochen. Gilles de la Tourette - der Protokoll führte -fügte seinerseits Charcots Lehrstunde noch hinzu, dass fünfzehn Behandlungen von jeweils einer Viertelstunde jeden zweiten Tag Heilung oder Erleichterung bei Neurasthenie, Depression oder Impotenz gebracht hatten.
    An Gilles de la Tourette erinnert man sich heute wegen >seines< Syndroms, aber seine Leidenschaft galt der Hysterie und der Hypnose. Er betrachtete den dreibändigen Traite clinique et therapeu-tique de l’hysterie als sein Hauptwerk. Hierin präsentierte er eine ausführliche Geschichte der Hysterie, mit Zeichnungen nach mittelalterlichen Kunstwerken, die deutlich machen sollten, dass es diese Störung auch früher schon gegeben hatte, Übersichten organischer Erkrankungen wie Epilepsie und Migräne, die anscheinend mit Hysterie in Beziehung standen, eine Klärung des Zusammenhangs zwischen Hysterie und Faktoren wie Geschlecht, Alter, Ausbildung, Religion, oder Krankheiten wie Syphilis, Diabetes, Typhus und Rheuma. Sein Werk enthält lange Betrachtungen über auslösende Faktoren wie Alkohol, Quecksilber, Tabak und Chloroform, über die Ergebnisse von Messungen wie etwa die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde bei hysterischem Zittern und wie sich diese wiederum vom Zittern bei der Basedow-Krankheit unterscheiden, es enthält unzählige Graphiken mit Befunden von Urinuntersuchungen vor, während und nach dem hysterischen Anfall, und so weiter. Die Monographie beruht auf jahrelanger vergleichender und experimenteller Forschung, auf präziser statistischer Analyse, einwandfrei durchgeführt gemäß den damaligen methodologischen Erkenntnissen. In der Erinnerung an Gilles de la Tourette werden die 1800 Seiten über Hysterie oft übersehen wegen der zwei, drei Artikel zu einem Thema, das ihn nur kurz gefesselt hat.
    Der >vibrierende Helm<, den Gilles de la Tourette für die Behandlung von Neurasthenie, Schlaflosigkeit und Depression entwarf.

    1884 bat ihn Charcot, »ein wenig Ordnung ins Chaos der Cho-reas« zu bringen. 7 Chorea, wörtlich >Tanz<, war eine Sammelbezeichnung für abrupte, unfreiwillige Bewegungen. Die bekannteste Form war die >Chorea von Sydenham<, früher auch >Veitstanz< genannt, ein 1686 von Thomas Sydenham beschriebenes Leiden, bei dem der Patient zwangsweise tanzartige Bewegungen macht. 1881, noch bevor er nach Paris kam, hatte Gilles de la Tourette einen Artikel des amerikanischen Neurologen George Beard über eine sonderbare Bewegungsstörung übersetzt. 8 Bei einer Gruppe französischer Holzfäller, die in Maine arbeiteten, hatte Beard festgestellt, dass die Männer auf Kommando aufsprangen, als würde sie etwas heftig erschrecken, und den Befehl zwanghaft wiederholten, begleitet von krampfartigen Muskelbewegungen. Gilles de la Tourette war von diesen »jumping Frenchmen of Maine« fasziniert. In noch zwei weiteren Publikationen hatte er Berichte über Phänomene gelesen, die seiner Ansicht nach auf dieselbe Störung verwiesen. In Malaysia waren diese Tics als >latah< bekannt und in Sibirien hatten amerikanische Marineoffiziere Menschen dieselben krampfartigen Bewegungen ausführen sehen wie die Holzfäller von Beard (>myriachit<). 1885 veröffentlichte Gilles de la Tourette einen Artikel, dessen Titel sich übersetzen lässt als

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