Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
gedachte, der die Alzheimer-Krankheit entdeckt hatte. Zeitgenossen teilten die Vorbehalte, die Alzheimer selbst schon hatte: War die Alzheimer-Krankheit eigentlich wirklich eine gesonderte, als deutliche Einheit zu identifizierende Krankheit? In Augustes Gehirn hatte er zwei Sorten abweichender Zellen gefunden: Knäuel und Plaques. Das klinische Bild Feigls stimmte exakt mit dem Augustes überein, aber in seinem Gehirn fand Alzheimer keine Knäuel! Dieser Befund wurde durch spätere Forschungen bestätigt. Das Gehirn von Johann Feigl ruht noch immer in Form von 150 Präparaten im Archiv des Instituts für Neuropathologie in München. Nach ihrer Wiederentdeckung 1992 wurden sie erneut untersucht. 36 Auch Techniken,
die es zu Alzheimers Zeiten noch nicht gab, haben die Abwesenheit von Knäueln bestätigt. Als echte Neuro-Archäologen hatten die Forscher einen Teil des Materials nicht angerührt, in Erwartung neuer Techniken oder Erkenntnisse über den genetischen Hintergrund der Alzheimer-Krankheit. 37 1997 stellte sich heraus, dass auch Augustes Gehirn in demselben Archiv offensichtlich zwei Weltkriege überlebt hatte: 270 bunte Präparate, jedes ein Zehntel Millimeter dick. 38
Alzheimer notierte nach dem Tod Feigls als Diagnose: >Alzhei-mersche Krankheit<. Aber als er dessen Gehirn unter sein geliebtes Zeiss-Mikroskop geschoben hatte, mussten ihm schnell Zweifel kommen. Offensichtlich war die >Alzheimer-Krankheit< nicht dasselbe wie >Knäuel und Plaques<. Aber war ohne die Knäuel von einer anderen oder von einer Variante derselben Krankheit die Rede? Alzheimer ließ es dahingestellt sein, spätere Generationen von Neurologen haben sich für Letzteres entschieden: »Johann F. litt an der >Plaques-only<-Variante der Alzheimer-Krankheit.« 39
Und dann wäre da noch Gaetano Perusini. Als Kraepelin im Frühling des Jahres 1908 das Eponym zuerkannte, verfügte er noch nicht über die Befunde Perusinis, dessen Bericht erst im Dezember desselben Jahres fertiggestellt wurde. Er beschrieb die drei neuen Fälle und eine histopathologische Untersuchung, die viel ausführlicher war als die von Alzheimer. Vor noch nicht allzu langer Zeit haben italienische Ärzte dafür plädiert, in Zukunft von der >Alzheimer-Perusini-Krankheit< zu sprechen. 40 Ein chancenloses Manöver: Ein Eponym, das einmal Eingang gefunden hat, ist wie in Marmor gemeißelt, auch wenn es eine passende Ehrung für einen Pathologen wäre, dessen vielversprechende Laufbahn entschieden zu früh endete, als er mit sechsunddreißig Jahren im Ersten Weltkrieg fiel, zehn Tage vor Alzheimers Tod.
Alzheimer und Perusini waren Pathologen. Sie schreiben kein Wort über Behandlung oder Therapien. Kraepelin, der schließlich Anstaltsleiter war, tut dies zwar, es ist jedoch nicht viel mehr als ein kurzer, machtloser Abschnitt: sorgfältige Körperpflege, Behandlung der Schlaflosigkeit durch Baden, bei >verwirrten Erregungszuständen der Nahrung Beruhigungsmittel zufügen, Angst durch geringe Mengen Opium bekämpfen. 41 Ob Alzheimer in Hinblick auf ein mögliches Heilmittel für >seine< Krankheit pessimistisch oder optimistisch war, weiß niemand. Es muss für jeden Arzt schwierig gewesen sein, kein Optimist zu sein, wenn man genau in der Epoche lebte, in der die Erreger gefürchteter epidemischer Krankheiten entdeckt wurden: Milzbrand (1881), Tuberkulose (1882), Cholera (1883), Tollwut (1885), Diphtherie (1890), Tetanus (1892), Dysenterie (1898). Auch in Alzheimers Spezialgebiet hatte es revolutionäre Entwicklungen gegeben. 1905, ein Jahr nach Erscheinen seiner eigenen Studie zur progressiven Paralyse<, entdeckten zwei deutsche Zoologen den Erreger der Syphilis, und wieder ein Jahr später entwickelte Wassermann den Test, mit dem eine Syphilisinfektion schon beim lebenden Menschen festgestellt werden konnte. 1910 präsentierte Ehrlich das Medikament >Sal-varsan<, das den gefährlichen Quecksilberkuren ein Ende bereitete. Kurzum, innerhalb von zwei Jahrzehnten konnte eine ganze Reihe von Krankheiten zum ersten Mal behandelt, geheilt oder verhindert werden. Andererseits waren dies Infektionskrankheiten, und nichts wies darauf hin, dass die Alzheimer-Krankheit ebenfalls in diese Kategorie fiel.
Aber sollte Alzheimer in dieser Hinsicht Optimist gewesen sein, dann war er vermutlich auch der letzte. Vergreisung tritt in den Teilen der Welt auf, in denen an Krankheiten Geld zu verdienen ist, und trotz enormer Investitionen in die Pharmaforschung ist das Medikament, das die
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